Nebenwirkungen
Mann hier das gängige, in jedem Winkel der Welt bekannte Zeichen gemacht, das darauf hinweist, daß er sich verschluckt hat. Die Symptome mögen genauso aussehen wie bei einem Menschen, der einen Herzanfall hat, dieser Mann hier aber, das versichere ich Ihnen, kann durch den gerettet werden!"
Und damit schlang der Held des Augenblicks seine Arme von hinten um meinen Begleiter und hob ihn in die Senkrechte. Er legte Goldwurm seine Faust genau unters Brustbein und drückte fest zu, worauf ein zwischendurch bestellter Sojaquark dem Opfer aus der Speiseröhre flutschte und im Prallschuß auf der Hutablage landete. Goldwurm kam im Handumdrehen wieder zu sich und dankte seinem Retter, der sodann unsere Aufmerksamkeit auf eine gedruckte Mitteilung des Gesundheitsministeriums lenkte, die an der Wand hing. Auf dem Anschlag wurde vollkommen wahrheitsgetreu das oben erwähnte Drama geschildert. Wessen wir Zeugen gewesen waren, war tatsächlich "das gängige Verschluck-Signal", das den dreiteiligen Leidensweg des Opfers ausdrückt: 1) kann nicht sprechen oder atmen, 2) läuft blau an, 3) bricht zusammen..Den charakteristischen Merkmalen folgten auf dem Plakat klare Anweisungen, wie bei der Lebensrettung vorzugehen sei: eben dieser überraschende Griff und das hierdurch in der Gegend herumfliegende Eiweiß, das wir gesehen hatten und das Goldwurm vor den widerwärtigen Umständen des langen Abschieds bewahrt hatten.
Als ich wenige Minuten später die Fifth Avenue entlang nach Hause schlenderte, fragte ich mich, ob Dr. Heimlich, dessen Name als Entdecker des erstaunlichen Kunstgriffs, dessen Anwendung ich gerade gesehen hatte, im nationalen Bewußtsein nun einen so festen Platz hat, wohl die geringste Ahnung davon habe, wie nahe er einmal daran war, von drei noch immer völlig unbekannten Wissenschaftlern ausgebootet zu werden, die monatelang ununterbrochen an der Erforschung eines Heilmittels gegen dasselbe gefährliche Essenstrauma gearbeitet hatten. Ich fragte mich auch, ob er wohl von der Existenz eines Tagebuchs wisse, das ein ungenanntes Mitglied dieses bahnbrechenden Dreigestirns geführt hatte - eines Tagebuchs, das auf einer Auktion ganz irrtümlich in meinen Besitz gelangt war, weil es in Farbe und Umfang einem illustrierten Werk mit dem Titel "Haremssklavinnen" glich, für das ich den Lohn läppischer acht Wochen Arbeit geboten hatte. Es folgen nun einige Auszüge aus dem Tagebuch, die ich hier lediglich im Interesse der Wissenschaft veröffentliche:
3. JANUAR. Begegnete heute meinen beiden Kollegen zum erstenmal und fand sie alle beide bezaubernd, obwohl Wolfsheim nicht ganz so ist, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Zum Beispiel ist er massiger als auf seinem Foto (ich glaube, er benutzt ein altes). Sein Bart ist mittellang, scheint aber so blödsinnig hemmungslos wie Queckengras zu wachsen. Hinzu kommen dicke, buschige Augenbrauen und Knopfaugen von Mikrobengröße, die hinter Brillengläsern von der Dicke kugelsicheren Glases argwöhnisch umherwandern. Und dann sein Zucken. Der Mann hat sich ein Repertoire an Gesichtsticks und -zuckungen zugelegt, die zumindest die komplette Vertonung durch Strawinsky erfordern. Und doch ist Abel Wolfsheim ein glänzender Wissenschaftler, dessen Werk über das Verschlucken bei Tisch ihn zu einer Legende in der ganzen Welt hat werden lassen. Er war sehr geschmeichelt, daß ich seinen Aufsatz "Die falsche Röhre - ein Zufall?" kannte, und er vertraute mir an, daß meine einst mit Skepsis betrachtete Theorie, der Schluckauf sei angeboren, jetzt am Massachusetts Institute of Technology allgemein anerkannt sei. Wenn Wolfsheim exzentrisch aussieht, dann ist das andere Mitglied unserer Dreiergruppe genauso, wie ich es nach der Lektüre ihres Werks erhofft hatte. Shulamith Arnolfini, deren Experimente mit abgewandelter DNA zur Erschaffung einer Springmaus führten, die "Let My People Go" singen konnte, ist durch und durch britisch - locker und unverkrampft, wie es ihr zu einem Dutt geschlungenes Haar und die halb auf die gebogene Nase gerutschte Hornbrille voraussehen ließen. Außerdem hat sie gut hörbar einen so saftigen Sprachfehler, daß vor ihr zu stehen, wenn sie ein Wort wie "Zuckerdose" ausspricht, genauso ist, als befinde man sich mitten in einem Monsunregen. Ich mag sie beide und sage große Entdeckungen voraus.
5. JANUAR. Die Dinge kamen nicht ganz so reibungslos in Gang, wie ich das gehofft hatte, denn Wolfsheim und ich hatten eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher