Nebenwirkungen
Welt leben, in der kein Mensch mehr, gleich welcher Rasse, Konfession oder Hautfarbe, von seiner Hauptmahlzeit tödlich zur Strecke gebracht wird. Um mit einer persönlichen Bemerkung zu schließen: Shulamith und ich werden heiraten, und bevor das Wirtschaftsleben sich wieder etwas aufzuheitern beginnt, haben sie, Wolfsheim und ich beschlossen, einer vielgefragten Aufgabe nachzukommen und einen wirklich erstklassigen Tätowiersalon zu eröffnen.
Der oberflächlichste Mensch, der mir je begegnet ist
Wir saßen im "Delicatessen" rum und redeten über oberflächliche Leute, denen wir begegnet waren, als Koppelmann den Namen Lenny Mendel in die Debatte warf. Koppelmann sagte, Mendel sei bei weitem der oberflächlichste Mensch, der ihm je über den Weg gelaufen sei, ohne jede Ausnahme, und dann machte er sich an die Erzählung der folgenden Geschichte.
Jahre lang schon fand wöchentlich einmal ein Pokerabend mit ungefähr immer denselben Leuten statt. Es handelte sich um Spiele mit kleinen Einsätzen, die man zum Spaß und zur Entspannung in einem gemieteten Hotelzimmer machte. Die Männer setzten und blufften, aßen und tranken und redeten von Sex und Sport und den Geschäften. Nach einer Zeit (aber keiner konnte präzise die genaue Woche sagen) bemerkten die Spieler nach und nach, daß einer von ihnen, Meyer Iskowitz, nicht sehr gesund aussah. Als sie Bemerkungen darüber machten, tat Iskowitz das alles als unbedeutend ab.
"Mir geht’s prima, mir geht’s prima", sagte er, "wollen wir wetten?" Aber im Verlauf von ein paar Monaten sah er immer schlechter aus, und als er eine Woche nicht zum Spielen erschien, hörten sie, daß er mit einer Gelbsucht ins Krankenhaus gekommen sei. Jedermann ahnte die schreckliche Wahrheit, und so kam es drei Wochen später nicht vollkommen überraschend, als Sol Katz Lenny Mendel bei der Fernsehshow anrief, wo er arbeitete, und sagte: "Der arme Meyer hat Krebs. Die Lymphknoten. Sehr bösartig. Es hat sich schon im ganzen Körper ausgebreitet. Er ist im Sloan-Kettering."
"Wie schrecklich", sagte Mendel erschüttert und plötzlich deprimiert, während er am anderen Ende der Leitung matt an seiner Malzmilch nippte.
"Phil und ich haben ihn heute besucht. Der arme Kerl hat keine Angehörigen. Und er sieht furchtbar aus. Er ist doch immer so robust gewesen. Aiweh, was für eine Welt. Na ja, er ist im Sloan-Kettering, 1275 York, und die Besuchszeit ist von zwölf bis acht."
Katz legte auf und ließ Lenny Mendel in trüber Stimmung zurück. Mendel war vierundvierzig und gesund, soweit er wußte. (Er schränkte plötzlich seine Selbsteinschätzung ein, um sie nicht selber zu beschreien.) Er war nur sechs Jahre jünger als Iskowitz, und wenn die beiden auch nicht so furchtbar eng befreundet waren, so hatten sie doch fünf Jahre lang einmal die Woche beim Kartenspiel viel gemeinsam zu lachen gehabt. Der arme Kerl, dachte Mendel. Ich denke, ich sollte ihm ein paar Blumen schicken. Er beauftragte Dorothy, eine von den Sekretärinnen bei der NBC, den Blumenladen anzurufen und die Einzelheiten zu erledigen. Die Nachricht von Iskowitzens nahem Tod lastete den Nachmittag schwer auf Mendel, aber was ihn langsam noch mehr zermürbte und entnervte, das war der beharrliche Gedanke, man erwarte von ihm, daß er seinen Pokerfreund besuche.
Was für eine unangenehme Aufgabe, dachte Mendel. Er hatte ein schlechtes Gewissen angesichts seines Wunsches, der ganzen Angelegenheit aus dem Wege zu gehen, und doch fürchtete er, Iskowitz unter diesen Umständen zu sehen. Natürlich war sich Mendel darüber klar, daß alle Menschen sterben müssen, und er schöpfte sogar ein wenig Trost aus einer These, auf die er einmal in einem Buch gestoßen war und die besagte, der Tod stünde nicht im Gegensatz zum Leben, sondern sei ein naturbedingter Teil von ihm; doch wenn er über die Tatsache seiner eigenen Auslöschung in alle Ewigkeit genau nachdachte, jagte ihm das grenzenlose Furcht ein. Er war nicht religiös und kein Held und kein Stoiker, und in seinem täglichen Leben wollte er von Beerdigungen oder Krankenhäusern oder Sterbezimmern nichts hören. Wenn auf der Straße ein Leichenwagen vorbeifuhr, konnte ihm das Bild noch Stunden nachgehen. Nun stellte er sich Iskowitzens dahinsiechende Gestalt und sich selber vor, wie er verlegen versuchte, Witze zu reißen oder Konversation zu machen. Wie er Krankenhäuser haßte mit ihren zweckmäßigen Fliesen und der nüchternen Beleuchtung! Diese ganze
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