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Nebenwirkungen

Nebenwirkungen

Titel: Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Allen
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ihn zu besuchen, da würde er seine Feigheit möglicherweise bedauern, und es wäre dann nichts mehr zu ändern. Ich werde mich dafür hassen, daß ich kein Rückgrat besitze, dachte er, und die anderen werden mich als das erkennen, was ich bin - eine eigensüchtige Laus. Andererseits, wenn ich Iskowitz besuche und handele wie ein Mann, werde ich in meinen Augen und in denen der Welt als ein besserer Mensch dastehen. Der springende Punkt jedenfalls ist, daß Iskowitzens Bedürfnis nach Trost und Gesellschaft nicht die treibende Kraft hinter dem Besuch war.
    Nun nimmt die Geschichte eine Wendung, denn wir sprechen ja über Oberflächlichkeit, und die Ausmaße von Lenny Mendels alle Rekorde brechender Gedankenlosigkeit kommen eben erst nach und nach zum Vorschein. An einem kalten Dienstagabend um neunzehn Uhr fünfzig (da konnte er nicht länger als zehn Minuten bleiben, selbst wenn er wollte) erhielt Mendel von der Krankenhausaufsicht den laminierten Ausweis, der ihm den Zugang zu Zimmer 1501 gestattete, wo Meyer Iskowitz allein in seinem Bett lag, überraschend gut aussehend, wenn man das Stadium bedachte, zu dem die Krankheit vorgeschritten war.
    "Wie geht’s denn so, Meyer?" sagte Mendel leise und versuchte, einen beträchtlichen Abstand zum Bett einzuhalten.
    "Wer ist denn da? Mendel? Bist du das, Lenny?"
    "Ich hatte zu tun. Sonst war ich schon eher gekommen."
    "Ach, wie nett von dir, daß du dir die Mühe machst. Ich freue mich so, dich zu sehen."
    "Wie geht’s dir, Meyer?"
    "Wie geht’s mir? Ich werde die Sache schon kleinkriegen, Lenny. Denk an meine Worte. Ich werde die Sache schon kleinkriegen. "
    "Klar machst du das, Meyer", sagte Lenny Mendel mit leiser, von Anspannung gepreßter Stimme. "In sechs Monaten bist du wieder da und schummelst beim Kartenspiel. Haha, nein, im Ernst, du hast nie geschummelt." Mach weiter so locker, dachte Mendel, laß die Pointen weiter so purzeln. Behandle ihn, als liege er nicht im Sterben, dachte Mendel und erinnerte sich eines Ratschlags, den er zu dem Thema mal gelesen hatte. In dem stickigen kleinen Zimmer, so kam es Mendel vor, atmete er Wolken bösartiger Krebskeime ein, die aus Iskowitz hervorströmten und sich in der warmen Luft vermehrten. "Ich habe dir ’ne Post gekauft", sagte Lenny und legte das Mitbringsel auf den Tisch.
    "Setz dich, setz dich. Wo rennst du denn hin? Du bist doch gerade erst gekommen", sagte Meyer herzlich.
    "Ich lauf nicht weg. Es ist bloß, in der Besuchsvorschrift heißt es, die Besuche sind zur Entlastung der Patienten kurz zu halten."
    "Und was macht das schon?" fragte Meyer.
    Mendel, der sich damit abfand, daß er die ganze Zeit bis acht plaudern müsse, zog sich einen Stuhl ran (nicht zu nahe) und versuchte, sich über Kartenspielen, Sport, Schlagzeilen und die Finanzen zu unterhalten, sich ständig der alles überragenden, schrecklichen Tatsache peinlich bewußt, daß Iskowitz trotz seines Optimismus dieses Krankenhaus nie mehr lebend verließe. Mendel schwitzte und fühlte sich benommen. Das Bedrückende, die gezwungene Fröhlichkeit, das allgegenwärtige Gefühl von Krankheit und das Bewußtsein seiner eigenen wehrlosen Sterblichkeit ließen sein Genick steif werden und seinen Mund austrocknen. Er wollte gehen. Es war schon fünf nach acht, und er war noch immer nicht zum Gehen aufgefordert worden. Die Besuchsregeln waren lasch. Er wand sich auf seinem Stuhl, während Iskowitz zärtlich von den alten Zeiten sprach, und nach weiteren deprimierenden fünf Minuten meinte Mendel, in Ohnmacht zu fallen. Da, gerade als es schien, er könne es nicht mehr länger aushaken, trat ein folgenschweres Ereignis ein. Die Schwester, Miss Hill - die vierundzwanzigjährige, blonde, blauäugige Schwester mit ihrem langen Haar und dem wunderschönen Gesicht - kam herein und sagte, wobei sie Lenny Mendel mit einem warmen, gewinnenden Lächeln ins Auge faßte: "Die Besuchszeit ist zu Ende. Sie müssen leider auf Wiedersehen sagen." Lenny Mendel, der in seinem ganzen Leben noch nie ein vollkommeneres Geschöpf gesehen hatte, verliebte sich just in dem Moment. So einfach ging das. Er glotzte mit offenem Mund und dem verblüfften Aussehen eines Mannes, der endlich die Frau seiner Träume zu Gesicht bekommen hat. Mendel schmerzte geradezu das Herz vor dem überwältigenden Gefühl höchsten Verlangens. Mein Gott, dachte er, es ist wie im Kino. Und da gab’s auch gar keine Frage, Miss Hill war absolut entzückend. Sie war sexy und kurvenreich in ihrer weißen

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