Nebenwirkungen
Tracht, hatte große Augen und üppige, sinnliche Lippen. Sie hatte schöne, ausgeprägte Wangenknochen und makellos geformte Brüste. Ihre Stimme war wohlklingend und bezaubernd, während sie die Laken glattzog, Meyer Iskowitz gutmütig neckte und doch herzliche Teilnahme für den Kranken erkennen ließ. Zum Schluß nahm sie das Essentablett und ging hinaus, wobei sie nur kurz innehielt, um Mendel zuzuzwinkern und zu flüstern: "Am besten Sie gehen jetzt. Er braucht Ruhe."
"Ist das immer deine Krankenschwester?" fragte Mendel Iskowitz, nachdem sie gegangen war.
"Miss Hill? Die ist neu. Sehr erfreulich. Ich mag sie. Nicht so mürrisch wie ein paar von den anderen hier. So hilfsbereit wie irgend möglich. Und viel Sinn für Humor. Na, du gehst jetzt besser. Es hat mich so gefreut, dich zu sehen, Lenny."
"Tja, ganz recht, mich auch, Meyer."
Verwirrt erhob Mendel sich und trottete den Korridor hinunter in der Hoffnung, Miss Hill noch einmal zu begegnen, bevor er an den Fahrstühlen ankam. Sie war nirgendwo zu sehen, und als Mendel hinaus auf die Straße in die kalte Nachtluft trat, da wußte er, er müsse sie wiedersehen. Mein Gott, dachte er, als ihn das Taxi durch den Central Park nach Hause fuhr, ich kenne Schauspielerinnen, ich kenne Mannequins, und diese junge Krankenschwester hier ist reizender als all die anderen zusammen. Warum habe ich nicht mit ihr geredet? Ich hätte sie in ein Gespräch hineinziehen sollen. Ob sie wohl verheiratet ist? Ach nein - nicht, wenn sie Miss Hill heißt. Ich hätte Meyer über sie ausfragen sollen. Natürlich, wenn sie neu ist ... Er ging alle "Ich-hätte-sollen" durch und hatte den Eindruck, er hätte so was wie eine Riesenchance verpaßt, aber dann tröstete er sich damit, daß er zumindest wußte, wo sie arbeitete, und er sie ja wieder ausfindig machen könne, wenn er sein Gleichgewicht wiedergefunden hätte. Es ging ihm durch den Kopf, sie könne sich ja am Ende als unintelligent oder beschränkt erweisen wie so viele der schönen Frauen, die ihm im Showgeschäft über den Weg liefen. Allerdings ist sie Krankenschwester, das könnte bedeuten, daß ihre Interessen tiefer, menschlicher, weniger egoistisch sind. Oder es könnte bedeuten, daß sie, wenn ich sie erst besser kenne, nichts als eine phantasielose Überbringerin von Bettpfannen ist. Nein - so grausam kann das Leben nicht sein. Er spielte mit dem Gedanken, vor dem Krankenhaus auf sie zu warten, vermutete aber, daß ihr Schichtdienst wechsle und er sie verpasse. Auch, daß er sie vielleicht aus der Fassung brächte, wenn er sie anspräche.
Er ging am nächsten Tag Iskowitz wieder besuchen und brachte ihm ein Buch mit dem Titel Berühmte Sportgeschichten mit, von dem er meinte, es lasse seinen Besuch weniger verdächtig erscheinen. Iskowitz war überrascht und erfreut, ihn zu sehen, aber Miss Hill hatte an dem Abend keinen Dienst, statt dessen schwebte ein Dragoner namens Miss Caramanulis zum Zimmer rein und raus. Mendel konnte seine Enttäuschung kaum verbergen und versuchte, interessiert zu bleiben an dem, was Iskowitz zu sagen hatte, aber es gelang ihm nicht. Iskowitz, der ein bißchen unter Beruhigungsmitteln stand, bemerkte gar nicht, daß Mendel verwirrt nichts anderes im Kopf hatte, als wegzugehen.
Mendel kam am nächsten Tag wieder und fand den himmlischen Gegenstand seiner Träume mit Iskowitzens Pflege beschäftigt. Er machte stotternd etwas Konversation, und als er wegging, gelang es ihm, im Korridor ganz nahe an sie heranzukommen. Während Mendel ihrer Unterhaltung mit einer anderen jungen Schwester lauschte, meinte er den Eindruck zu gewinnen, sie habe einen Freund und die beiden sähen sich am nächsten Tag zusammen ein Musical an. Er versuchte, gleichgültig zu erscheinen, als er auf den Fahrstuhl wartete, hörte aber aufmerksam zu, um herauszukriegen, wie ernsthaft die Beziehung sei, bekam aber keineswegs alle Einzelheiten mit. Er neigte zur Annahme, sie sei verlobt, und obwohl sie keinen Ring trug, meinte er, er höre sie von jemandem als "meinem Verlobten" sprechen. Er fühlte sich entmutigt und stellte sie sich als die vergötterte Gefährtin irgendeines jungen Arztes vor, eines glänzenden Chirurgen vielleicht, mit dem sie viele berufliche Interessen teilte. Seine letzte Wahrnehmung, als sich die Fahrstuhltüren schlössen, um ihn hinunter zur Straße zu transportieren, war, daß Miss Hill den Korridor entlangging und sich angeregt mit der anderen Schwester unterhielt, während sie verführerisch
Weitere Kostenlose Bücher