Nebra
was wir zu tun haben, ist, den Eingang zu finden.«
»Was ist mit der Polizei?«, fragte Hannah. »Warum übergeben wir die Sache nicht den zuständigen Behörden? Ich habe die leitende Kommissarin Ida Benrath kennengelernt. Sie scheint eine vernünftige Frau zu sein.«
Michael schüttelte den Kopf. »Die steckt uns schneller wieder zurück in die Psychiatrie, als wir gucken können. Wer soll uns denn so eine Geschichte glauben? Abgesehen davon, geht es ja auch noch um etwas anderes: Wir wollen einen Schatz finden, erinnert ihr euch?« Seine Augen leuchteten. »Sobald das Land und die Behörden ihre Finger im Spiel haben, können wir die Sache vergessen. Dann wird niemand von uns je einen müden Cent zu sehen bekommen. Es ist sogar davon auszugehen, dass wir einen Prozess wegen Raubgräberei an den Hals bekommen. Ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie so etwas läuft. Stromberg ist dafür der geeignete Mann, er hat das nötige Personal und die richtige Ausrüstung, um solch einen Coup unbemerkt über die Bühne zu bringen.« »Hast du wenigstens ein paar einfache Waffen?«, fragte Karl. »Ich habe keine Lust, diesen Typen völlig unvorbereitet in die Arme zu laufen.«
»Was ich euch anbieten kann, sind Taser und CS-Gas. Nichts Großartiges, aber es sollte ausreichen, uns zur Wehr zu setzen. Aber so weit wird es gar nicht kommen.« Karl verschränkte seine Arme vor der Brust. »Wenn ich mit-komme, will ich, dass du mir eines versprichst.« »Was denn?«
»Du lässt die Sache danach ein für alle Mal ruhen. Das ist das letzte Mal, dass du in meiner Gegenwart von unserer Entführung, von Kelten, Wölfen oder Himmelsscheiben redest.« »Darauf hast du mein Wort.«
Karl zögerte kurz, dann sagte er: »Dann bin ich dabei.« »Ich auch«, sagte Cynthia. »Bleibst nur noch du, Hannah«, sagte Michael. Die Archäologin war tief in Gedanken versunken. Cynthia ahnte, welch schwere Entscheidung sie zu treffen hatte. Sie musste einen Diebstahl begehen. Sie sollte ein Objekt stehlen, das unter höchster Sicherheit aufbewahrt wurde. Ein Objekt, das zu schützen und zu sichern sie sich verpflichtet hatte. Wenn sie dabei erwischt wurde, würde sie für Jahre hinter Gitter wandern. Abgesehen davon, dass sie vermutlich nirgendwo mehr eine Anstellung finden würde. Nach einer Weile hob Hannah den Blick. Sie schien eine Entscheidung getroffen zu haben.
44
Mittwoch, 30. April
Es war kurz nach halb sieben, als Hannah, den Koffer mit dem Duplikat der Scheibe an den Körper gepresst, aus ihrem Auto stieg. Über ihr ragten drohend die beiden steinernen Türme des Museums auf. Es war ein nebliger Morgen, der der Szenerie die Atmosphäre eines Edgar-Wallace-Films verlieh. Wie hatte sie nur annehmen können, dass das hier gutgehen würde? Die Idee, die Himmelsscheibe von Nebra zu stehlen, kam ihr nach dem gestrigen Abend und der vergangenen Nacht doppelt unrealistisch vor. Nein, schlimmer. Es kam ihr vor wie ein Sakrileg, ein Verrat an der eigenen Sache. Wenn das hier rauskam, dann würde man einen Bann über sie verhängen, der weit über Deutschland hinaus reichte. Andererseits steckte sie jetzt schon so tief in der Sache drin, dass sie nun auch wissen wollte, wie es weiterging. Ihre Erinnerung führte sie zurück an ihre gemeinsame Brockenwanderung. Michael hatte sie damals recht gut durchschaut. Sie betrieb Archäologie nicht des Geldes wegen. Auch nicht des Ruhmes, der Ehre und der Anerkennung wegen. Sie war nicht geboren für Archive und Studierstuben. Sie war Archäologin, weil sie Geheimnisse liebte, und hier bot sich eines, wie sie noch kein zweites gesehen hatte. Sie musste einfach herausfinden, was es mit Michaels Theorie auf sich hatte. Links an dem wuchtigen Gebäude vorbeigehend, wurde ihr bewusst, wie lächerlich es aussehen musste, dass sie den Koffer an die Brust drückte. Jeder halbwegs normale Mensch wäre sofort auf die Idee gekommen, dass sie etwas zu verbergen hatte. Nur ruhig, ermahnte sie sich, ganz locker bleiben. Fix rein und fix raus, dann kann nichts schiefgehen. Sie nahm den Koffer in die rechte Hand, setzte eine geschäftsmäßige Miene auf und ging auf das Labor zu, dessen Umrisse sich hinter dem Museum aus dem Nebel schälten. Es war anzunehmen, dass das Gebäude immer noch von der Polizei bewacht wurde. Die meisten von ihnen kannte sie schon, außerdem hatte sie einen Berechtigungsausweis erhalten, der ihr ungehinderten Zutritt gewährte. Es dürfte demnach kein Problem geben.
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