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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Tal des Todes.
    Dort wo Dornen wachsen, sind Rosen gepflanzt,
    Und auf öder Heide
    Singen die Honigbienen.
    Dann war der gefährliche Pfad bepflanzt
    Und ein Bach, eine Quelle
    Auf jedem Fels, jedem Grab
    Und über bleichen Knochen War rote Erde geboren;
    Bis der Gemeine die sorglosen Pfade verließ,
    Um auf gefährliche Pfade sich zu begeben
    Und den Gerechten in öde Himmelsstriche zu treiben.
    Nun kriecht die feige Schlange In sanfter Demut,
    Und der Gerechte rast in der Wildnis,
    Wo Löwen umher streichen.
    Rintrah grollt und schüttelt seine Feuer
    In der drückenden Luft.
    Hungrige Wolken hängen über der Tiefe.
    Ein Donnern dringt aus der Tiefe der Welt.
    Dunkles Grollen steigt in Wellen empor
    Und erschüttert die Erde. Sterne regnen vom Himmel,
    Entfachen das Firmament und senden blutigen Regen Zur Erde.
    Der letzte Tag der alten Welt neigt sein müdes Haupt.
    Hungrige Wolken hängen über der Tiefe. Über... der... Tiefe.
     
    Hannah erwachte. Sie schien ohnmächtig geworden zu sein. Langsam hoben sich ihre Lider. Worte geisterten in ihrem Kopf herum - Echos einer vergangenen Zeit. Verse. Ein Gedicht von William Blake: Die Hochzeit von Himmel und Hölle. Sie schüttelte den Kopf. Warum musste sie gerade jetzt daran denken? Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Eine Stunde oder zwei? Sie zermarterte ihr Hirn, gab es dann jedoch wieder auf. Die Suche nach einer Antwort strengte sie viel zu sehr an. Sie ertappte sich dabei, wie ihre Augen wieder zufielen. Gott, war sie müde. Sie versuchte den Kopf zu heben. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich gegen das gewaltige Gewicht zu stemmen, das von oben auf sie drückte. Wo war sie hier überhaupt? Was war das für ein Ort?
    Die Bilder wirkten fremdartig, als gehörten sie zu einem Traum. Sie befand sich in einem Saal, besser gesagt: in einer Kaverne. Zu allen Seiten erhoben sich kathedralenartig hohe Felswände. Über ihr, auf einer Höhe von vielleicht zwanzig Metern, formten sie ein makellos gerundetes Dach. An einigen Stellen waren Öffnungen zu sehen, Gänge, die zu anderen Höhlen führen mochten. Die buckligen, teils von Erosion, teils von Menschenhand geformten und bearbeiteten Wände wurden von sieben Schalen beleuchtet, die in einem Kreis aufge-stellt waren und in denen Licht brannte. Die Zahl Sieben, dachte Hannah mit einem schwachen Lächeln. Die böse Sieben. Ihr Kopf sank auf die Brust.
    Das Bewusstsein kehrte langsam zurück. Rauch trübte die Luft. Gespenstisch aussehende Schatten flackerten über den Granit, dessen kristalline Strukturen die Wände wie Rubin schimmern ließen. In der Mitte der Höhle ragte ein mächtiger Fels auf. Schwarz und glänzend hob er sich von dem umgebenden Gestein ab. Ein Fremdkörper, der eigentlich nicht hierhergehörte. Das Licht der Flammen spiegelte sich auf seiner Oberfläche und erzeugte verwirrende Muster. Massive goldene Ketten hingen von ihm herab, und an den Seiten war er mit Inschriften und Runen verziert. Ein Opferblock, so viel war klar.
    John, der nur wenige Meter entfernt an einen Pflock gebunden war, hing vornübergebeugt und gab ein leises Murmeln von sich. Sein Hemd hing zerfetzt von seinen Schultern, und seine Haut war mit Schrammen und Blutergüssen übersät. Sein Haar fiel ihm in Strähnen über die Augen. Augenscheinlich war auch er ohnmächtig. Sie wollte ihm die Hand reichen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie festgebunden war. Angst kroch in ihr hoch. Wo war sie hier nur hineingeraten? Noch einmal schüttelte sie den Kopf. Sie musste endlich wieder zur Besinnung kommen. Hinter John sah sie weitere Gefangene. Sie erkannte Karl und Cynthia. Die Körper nach vorn gekippt, wurden sie nur von ihren gefesselten Händen gehalten. Ihr Blick wanderte weiter. Waren da noch weitere Gefangene? Sie konnte es nicht sagen. »Oh, mein Kopf.« John war erwacht.
    Er richtete sich auf und lehnte den Kopf an den Pfosten. Seine geöffneten Augen glänzten fiebrig im Schein der Flammen. »Ich fühle mich, als wäre ich von einem Güterzug überfahren worden.«
    »Nicht nur du«, sagte Hannah.
    »Betäubungsmittel«, murmelte John und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Irgendetwas in der Luft.« Bei seinen Worten fiel Hannah das Ereignis in der Höhle wieder ein. Sie erinnerte sich, wie sie sich durch den engen Spalt gequetscht hatte, an den seltsamen Knall und die Rufe ihrer Freunde. Sie erinnerte sich an Johns reglosen Körper in der Pfütze, an seine Hände, die immer noch

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