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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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die Pistole umklammert hielten. Plötzlich fiel ihr alles wieder ein. Sie war nicht allein gewesen. Vor ihr hatte ein Wesen gestanden, das mit Fellen bedeckt gewesen war. Nicht diese Wölfe - die hätte sie an ihrem Geruch erkannt. Es war etwas anderes. Sie meinte sich an zwei Augen zu erinnern. Die Augen einer Frau. In ihren Händen hatte sie eine seltsame weiße Kugel gehalten. Die Kugel war explodiert und hatte ihr eine Wolke weißen Staub entgegengeschleudert.
    »Pilze«, sagte Hannah. »Ich glaube, es waren Pilze.« »Pilze?«
    »Groß, kugelförmig und weiß. Vielleicht eine Art Bovist.« »Egal, ich hab jedenfalls einen höllischen Kater.« »Eine Falle«, sagte Hannah. Je länger sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie davon. »Irgendwie wussten die, dass wir kommen würden. Die haben uns ins offene Messer rennen lassen. Es passt alles zusammen.«
    »Wer sind die?«
    »Schamanen, Dämonenbeschwörer, Hexenanbeter. Was weiß ich!«
    John hustete und spuckte vor sich auf den Boden. »Welchen Sinn hätte unsere Gefangennahme? Ich bekomme das nicht zusammen.«
    »Ist das nicht offensichtlich?« Hannah schämte sich, wie leicht sie sich hatte überrumpeln lassen. »Sie wollen natürlich die Scheibe.«
    Ein langgezogener Ton erklang.
    Ein klagendes Heulen, das aus einem der Tunnels jenseits des schwarzen Steins kam.
    »Mist, was war das?«
    »Keine Ahnung«, sagte Hannah.
    »Ich kenne diesen Ton«, sagte eine Stimme von links. Karl blickte sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Gott weiß, dass ich ihn kenne. Und ich habe gebetet, ihn nie wieder hören zu müssen.«
    Das Heulen kam näher. Es klang anders als das, was sie am oberen Eingang gehört hatten. Kein schrilles Wolfsgeheul. Eher wie der Versuch, einer Tuba möglichst grauenvolle Laute zu entlocken. Hannah lief es kalt den Rücken hinunter. Echos rollten durch die Gänge, brachen sich in Wellen an den Felsen. Die Luft schien zu beben. Cynthia war in diesem Moment erwacht. Das Entsetzen auf ihrem Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass auch sie sich erinnerte. Hannah fragte sich, was wohl in den Köpfen der drei jetzt vorgehen mochte? Wie mochte Michael sich jetzt fühlen? War er überhaupt schon wach? Hannah konnte ihn nicht sehen. Vermutlich war er auf der anderen Seite des Felsens festgebunden. Verdammt, es war zwar seine Idee gewesen, nach diesem Tempel zu suchen, aber man konnte ihm deswegen keinen Vorwurf machen. Sie alle hatten sich von ihrer Gier und der Faszination des Unbekannten in Versuchung führen lassen. Sie alle hatten gewusst, was sie taten, und sie alle würden teuer dafür bezahlen müssen. Auf der anderen Seite der Höhle krochen zwei Kreaturen aus den Gängen. Hannah hielt den Atem an. Kein Zweifel, das waren sie. Die Wesen von den Videobändern. Sie waren wesentlich größer als vermutet. Selbst auf allen vieren reichten sie noch bis knapp unter Hannahs Kinn. Sie verströmten eine bedrohliche Aura, die mit Händen zu greifen war. In allen Sprachen und allen Kulturen wären sie als Inbegriff des Bösen durchgegangen. Der Gestank, den sie verströmten, war bestialisch. Waren das wirklich Menschen? Ihre Gesichter waren von Wolfsschädeln verdeckt, die Arme und Beine waren völlig verdreckt, die Haut war mit Narben und schwärenden Wunden übersät. Ihre Bewegungen waren kraftvoll, aber ungelenk, als wären sie gerade erst zur Welt gekommen. Ausgeburten des Teufels. Zwitterwesen, halb Mensch und halb Tier, gefangen in einer Welt zwischen Realität und Alptraum. Eines der Wesen kam auf sie zu. Hannah hörte es atmen. Es klang wie eine quietschende Tür. Näher und näher kam es. Manchmal blieb es stehen, zuckte ein wenig zurück, nur um seinen Weg dann wieder fortzusetzen. Das Wesen verhielt sich merkwürdig. Fast so, als habe es Angst vor Hannah. Als es kaum mehr eine Armlänge von ihr entfernt war, hielt es an, sog die Luft ein. Hannah schloss die Augen. Jeden Moment rechnete sie damit, Zähne in ihrem Genick zu spüren, das Knirschen ihrer eigenen Knochen zu hören. Doch nichts geschah. Mit einem keuchenden Laut riss das Wesen seinen Kopf hoch und galoppierte zurück zu seinem Artgenossen. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Hannah wagte, ihre Augen wieder zu öffnen. Ihr Herz raste. Das waren keine Menschen, entschied sie. Bei allem, was Pechstein ihr erzählt hatte, bei allem, was sie bereit war zu glauben. Hier hatte er sich geirrt.
    Hilfesuchend blickte sie zu John, doch der starrte nur in die Richtung, in die die beiden

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