Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
er fluchend gegen die Tür. »Nichts zu machen«, keuchte er. »Sitzt bombenfest.« Er wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn. »Der Hebel draußen diente wohl als Sicherung«, sagte Cynthia. »Ein alter Mechanismus, der immer noch tadellos funktioniert. Wir sitzen in der Falle - wie die Kaninchen.« »Nicht unbedingt«, sagte Hannah. Sie steckte den Finger in den Mund und hielt ihn in die Höhe. »Spürt ihr das?« »Ich spüre im Moment nur meine Arme«, sagte Karl, der seine Muskeln massierte. »Fühlen sich an wie frisch von der Streckbank.«
    Hannah nahm eine der Fackeln aus der Halterung und begann die Wände abzuschreiten. Immer wieder hielt sie die Flamme in die Höhe.
    »Was haltet ihr von dieser Gilgamesch-Geschichte?«, fragte Cynthia. »Gruselig, oder?«
    »Religiöser Fanatismus«, murmelte Hannah. »Hokuspokus, Scharlatanerie. Wie ich es hasse, immer wieder dagegen ankämpfen zu müssen. Ich sage euch, die Menschheit wird sich irgendwann selbst aufreiben, wenn sie nicht aufhört, an übernatürliche Wesen zu glauben, die ihre Geschicke leiten.«
    »Und das Grab? Zumindest das ist echt.« »Dass es sich wirklich um Gilgamesch handelt, wage ich zu bezweifeln«, sagte Hannah. »Das hieße, dieses Grab wäre viel älter als bisher angenommen.« Sie seufzte. »Um Genaueres zu wissen, müsste man erst mal die beschrifteten Tonscherben lesen, die hier überall herumliegen. Dafür haben wir aber keine Zeit. Wir müssen raus hier, und zwar schnell.« »Hätte ich doch nur meinem Instinkt vertraut«, sagte Karl. »Als ich Michael vor ein paar Tagen getroffen habe, hatte ich gleich so ein komisches Gefühl. Die Art, wie er redete, dieses Funkeln in seinen Augen. Als wäre er von irgendetwas besessen.« »Ich dachte anfangs wirklich, es ginge ihm nur um den Schatz«, sagte Cynthia. »Er hat immer davon geredet, er wolle das Nest unserer Entführer ausheben und sie um ihre Reichtümer er-leichtern. Dass er in der Zwischenzeit die Seiten gewechselt hat, daran hätte ich nicht im Traum gedacht.« »Wenn sich jemand Vorwürfe machen muss, dann ich«, sagte Hannah. »Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Aber seine Tarnung war perfekt. Menschen wie er sind es gewohnt, ein Doppelleben zu führen. Was mich aber am meisten erschüttert hat, ist das, was er uns am Schluss erzählt hat. Vermutlich hat man ihn einer Art von Gehirnwäsche unterzogen. Ist euch aufgefallen, dass er immerzu dieses braune Zeug trinkt? Ich bin sicher, es ist diese Droge, die bei ihm zu einer Form von gespaltener Persönlichkeit geführt hat. Niemand kann längere Zeit ein solches Doppelleben führen, ohne wahnsinnig zu werden.«
    Cynthia blickte sie neugierig an. »Hast du mit ihm geschlafen?« In ihren Augen lag kein Vorwurf und kein Neid. »Ja«, sagte Hannah. »Ich habe mich sogar in ihn verliebt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe lange allein gelebt, für mich war er eine Versuchung, der ich nicht widerstehen konnte. Mein Gott, war ich naiv.«
    »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen«, sagte Cynthia. »Er hat uns alle hinters Licht geführt.«
    »Ein Beweis dafür, wie gut seine Tarnung wirklich war«, sagte Hannah. Sie blieb stehen und hob den Kopf. »Hier, halt mal kurz.« Sie gab ihr die Fackel und erklomm einen der Alabaster-Sarkophage. Mit einer kraftvollen Bewegung riss sie einen der Wandbehänge herunter. Eine Wolke aus Staub rieselte auf sie herab. In einer Höhe von etwa vier Metern zeichnete sich ein Loch in der Wand ab. Eine dunkle, etwa fünfzig Zentimeter breite quadratische Öffnung. »Volltreffer«, rief Hannah.
    »Was ist das?« Karl äugte misstrauisch zu dem winzig scheinenden Loch hinauf.
    »Ist euch nicht der Luftzug beim Betreten der Kammer aufgefallen? Ich habe sofort vermutet, dass es hier irgendwo einen Belüftungsschacht geben muss.« Kritisch blickte sie nach oben. »Vermutlich unsere einzige Chance, hier wieder rauszukommen - wenn wir Glück haben.« »Und wenn nicht?«
    »Es könnte natürlich auch ein Seelenkorridor sein, ähnlich denen in der großen Pyramide. Das würde bedeuten, dass er irgendwo endet und ich wie eine Maus in der Falle stecke.« Cynthias Augen wurden größer. »Du hast doch nicht etwa vor, dort hineinzukriechen?«
    Hannah begann ihre Jacke auszuziehen. »Ich habe den ganzen Saal abgeschritten. Dies scheint der einzige Ausgang zu sein, und die Zeit läuft uns davon. Wenn ihr eine bessere Idee habt, nur zu.«
    »Ziemlich hoch«, sagte Karl. »Wie willst du da hinauf?«

Weitere Kostenlose Bücher