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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Grabkammer unangenehm aufgefallen waren. Eine Wolke brauner Sporen schoss ihr ins Gesicht. Mit einem Aufschrei ließ sie die Fackel fallen und wischte sich über Augen, Nase und Mund. Das Zeug brannte wie Feuer. Hustend und keuchend robbte sie aus der Gefahrenzone, die Augen fest geschlossen. Tränen drangen unter ihren Lidern hervor, und ihre Lunge fühlte sich an, als hätte sie Pfefferspray eingeatmet. Es dauerte eine Weile, ehe der Schmerz nachließ. Als sie die Augen öffnete, durchfuhr sie ein eisiger Schrecken. Die Fackel war erloschen.
     
     

      
62
     
    Cynthia blickte auf die Uhr. Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Knapp eine halbe Stunde war seit Hannahs Flucht vergangen, und noch immer gab es kein Zeichen von ihr. Entweder sie hatte es nicht geschafft, oder sie war geflohen. Beide Varianten waren wenig erfreulich. Michael würde jeden Moment kommen, und er würde eine Antwort verlangen. Sie wusste nicht, wie sie ihm Hannahs Verschwinden erklären sollte. Eines war jedenfalls klar: Der Moment der Wahrheit würde ein verdammt unangenehmer Augenblick werden. Ein Kratzen an der Tür ließ sie aufhorchen. Sie hörte ein Klicken und kurz darauf das vertraute Rumpeln. »Karl?«, sagte sie leise. »Ich glaube, es ist so weit.« Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Die Tür glitt auf. Doch es war nicht Michael, es war...
    »Hannah!« Cynthia schrak zurück. Die Archäologin war von oben bis unten verdreckt. Ihre Haare hingen in Strähnen vom Kopf, und ihre Augen funkelten bedrohlich. »Raus hier«, keuchte sie, »schnell!«
    Cynthia brauchte einen Moment, um sich von dem Schrecken zu erholen, dann winkte sie Karl: »Nichts wie weg hier.« »Einen Moment noch«, entgegnete er und zog eines der Schwerter, die zu Dutzenden in der Grabkammer lagen, aus einem Haufen. Er steckte die Klinge in seinen Gürtel. »Kann sein, dass wir das noch brauchen werden.«
    Cynthia nickte und wollte sich die verbliebene Fackel nehmen, doch Hannah schüttelte den Kopf. »Kein Feuer. Das brauchen wir nicht. Außerdem würde es uns nur verraten. Fasst euch an den Händen und folgt mir.« Cynthia ergriff Karls Hand und zog ihn hinter sich her. Hannah führte die beiden aus dem Königsgrab heraus und bog in den Tunnel ein, der nach rechts abzweigte. »Das ist nicht die Richtung, aus der wir gekommen sind«, sagte Cynthia, als sie hinter der Archäologin in die Dunkelheit stolperte.
    »Wollt ihr, dass wir unserem Entführer geradewegs in die Arme laufen? Wir müssen einen anderen Weg nehmen.« »Kennst du dich denn hier aus? Wo warst du überhaupt so lange?«
    »Keine Zeit zum Reden jetzt«, zischte Hannah, während sie vorwärtseilte. Irgendetwas in ihrem Verhalten war seltsam, aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
    Sie waren etwa hundert Meter weit gekommen, als sie stehen blieb und Cynthia etwas matschig Weiches in die Hand drückte. »Hier, iss das. Und gib Karl auch davon.« Cynthia roch an der seltsamen Substanz und rümpfte die Nase. »Igitt! Was ist das?«
    »Ein Pilz. Und jetzt hab dich nicht so. Es kann sein, dass unser Überleben davon abhängt. Hört auf, Fragen zu stellen, und tut einfach, was ich euch sage.«
    Cynthia wunderte sich über den schroffen Tonfall, den die Archäologin anschlug. So unfreundlich war sie ihnen gegenüber bisher noch nie gewesen. Trotzdem spürte sie, dass Eile geboten war und dass es besser war, das zu tun, was man von ihnen verlangte. Sie teilte den Klumpen in zwei Teile und drückte einen davon Karl in die Hand. Als sie ihn in den Mund steckte, hatte sie das Gefühl, sie würde in verschimmeltes Brot beißen. »Pfui Teufel«, stöhnte sie und zwang sich, den Würgereiz zu unterdrücken. Es war widerlich. Nur mit größter Willensanstrengung gelang es ihr, den Brocken runterzuschlucken. Es schmeckte nicht nur moderig, sondern war außerdem ätzend scharf. Keuchend blieb sie stehen, stützte die Hände auf die Knie und rang nach Atem. »Was in Gottes Namen hast du uns da gegeben? Hoffentlich nichts Giftiges.« »Wenn es giftig wäre, hätte ich es kaum zu euch geschafft. Wie ich schon sagte: Es ist ein Pilz, aber kein gewöhnlicher. Seht euch mal um.«
    Cynthia hob den Kopf. Zunächst war alles unverändert. Sie konnte nichts erkennen außer einem schwachen Widerschein der Fackel in der Kammer hinter sich - kaum mehr als Glimmen in der Nacht. Doch je länger sie in den Tunnel blickte, desto heller wurde das Leuchten. Zunächst glaubte sie, jemand hätte die Fackel aus

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