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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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einig. Sie alle glauben an eine Vielzahl von metaphysischen Ebenen. Die Welt der Götter, die Welt der Verstorbenen, die Welt der Lebenden, die Welt der Tiere und der Pflanzen, die Welt der Geister. Sie alle existieren getrennt voneinander. Selbst unsere moderne Wissenschaft geht von parallelen Universen und Existenzebenen aus. Sagt Ihnen der Begriff vierdimensionale Raumzeit etwas? Ein sehr interessanter Aspekt, finden Sie nicht? Nur ab und zu trifft man auf Menschen - Menschen mit besonderen Fähigkeiten -, die diese Ebenen zu durchdringen vermögen. Sie fungieren als eine Art Mittler oder Wanderer zwischen den Welten. Sie allein sind in der Lage, uns zu berichten, was auf der anderen Seite ist. Die bronzezeitlichen Kulturen hatten ihre Schamanen und Geisterseher. Die australischen Aborigines haben sie heutzutage noch. Nehmen Sie die südamerikanischen Indianer oder die arktischen Inuit. Egal in welcher Zeit, egal an welchem Ort, wir finden diese Vorstellung überall, selbst in dem so wohlgeordneten Christentum. Oder meinen Sie, der Glaube an einen Himmel und eine Hölle sei etwas anderes als der Glaube an parallele Universen?«
    Stromberg stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn also dieser Glaube im kollektiven Bewusstsein sämtlicher Menschen verankert ist, meinen Sie nicht, es sollte Aufgabe der Wissenschaft sein, nach den gemeinsamen Wurzeln zu suchen? Dürfen wir uns wirklich aufs hohe Ross setzen und behaupten, das Ganze sei nichts weiter als eine Form artübergreifenden Wahnsinns? Eine Art zerebrale Störung im Gehirn? Ein genetischer Defekt?«
    »Hannah schüttelte den Kopf. »Ich halte es eher für den Wunsch vieler nach Antworten, gekoppelt mit dem Machtstreben einiger weniger. Sekten, Kirchen, Religionen, all das dient nur dazu, Erklärungen für etwas zu finden, was nicht erklärbar ist: die Schöpfung. Sie sollten vorsichtig damit sein, Fakten und Fiktion so ungehemmt zu vermischen. Damit spielen Sie nur den Fanatikern, den Machtbesessenen in die Hände. Und was die, von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reichend, angerichtet haben, das können Sie in den Medien erfahren.« Er hob den Kopf. »Was, wenn ich behaupte, es gibt eine solche Parallelwelt?«
    Hannah wollte ihm antworten, dann habe er nicht alle Tassen im Schrank, zog es aber vor, zu schweigen.
    »Kommen Sie«, beharrte Stromberg. »Ich sehe es Ihnen an. Sie stehen auf dem Standpunkt, das sei nicht von Bedeutung, da wir es ja ohnehin nicht beweisen können. Geben Sie es ruhig zu.«
    »Das habe ich nie behauptet.«
    Um Strombergs Mund spielte ein amüsierter Zug. »Lassen wir doch die Spielchen. Wir beide wissen, dass wir in einer Zeit leben, in der wir nur das glauben, was wir sehen. Wir wollen Beweise, harte unwiderlegbare Fakten. Fakten, wie sie uns die Medien angeblich Tag für Tag präsentieren. Wir lauschen ihren Worten, beginnend am Morgen, wenn sich der Radiowecker einschaltet, bis zur Spätausgabe der Nachrichten. Die Medien sind unsere neuen Priester, unsere neuen Schamanen und Geisterseher. Sie sind es, von denen wir uns leiten lassen, egal ob sie die Wahrheit sagen oder das Blaue vom Himmel herunterlügen. Das Tragische ist nur, dass wir darüber die alten Werte und Traditionen vergessen haben, den Glauben an die Götter, an die Geister und an die Parallelwelten. Wir haben vergessen, wo wir stehen, wo unsere Mitte ist und dass wir nur Teil eines sehr komplexen Mechanismus sind, den wir Leben nennen. Wir haben unsere Erdung verloren.« Ein schmales Lächeln durchschnitt sein Gesicht. »Ich weiß, das alles muss in Ihren Ohren wie esoterisches Geschwafel klingen, aber ich sage Ihnen: Unsere Ahnen wussten noch um die Mysterien der Schöpfung. Für sie gehörte der Kontakt zu den Geistern zum Normalsten auf der Welt.«
    »Mag sein«, gab Hannah zu. »Mag sein, dass viele von uns glücklicher wären, wenn sie sich wieder mit dem Kosmos vereinen, sich erden würden, wie Sie es nennen. Ich verstehe nur nicht, was das alles mit der Himmelsscheibe zu tun hat.« »Alles.« Strombergs Stimme wurde hart und unnachgiebig. Das Lächeln war verschwunden. Auf einmal stand vor Hannah der Mann, der es gewohnt war, auf der obersten Sprosse der Erfolgsleiter zu stehen. An der Spitze eines Unternehmens, so groß, dass niemand seine wahren Dimensionen auch nur erahnen konnte. Hannah spürte, dass sie jetzt dem anderen Stromberg gegenüberstand, dem wahren Stromberg. Einem Mann, der es gewohnt war, zu führen, und der keine Rückschläge

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