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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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duldete.
    »Stellen Sie sich vor, man könnte ein Tor zu einer solchen Parallelwelt errichten«, fuhr er fort, und seine Augen leuchteten vor Gier. »Ein dauerhaftes Tor, das selbst dann bestehen bliebe, wenn Wissenschaftler und Fernsehteams aus aller Welt anreisten und ihre Mikrofone, Objektive und Messinstrumente hineinhalten würden. Wenn die ganze Welt live an den Geräten mitverfolgen könnte, wie jemand ein solches Tor betritt und womöglich durchschreitet. Meinen Sie nicht, es könnte helfen, der Menschheit ihre Erdung wiederzugeben?« Hannah blickte verwundert zwischen Stromberg und John hin und her. Augenscheinlich meinten die beiden es völlig ernst. Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind ja verrückt«, sagte sie. »Vollkommen verrückt.«
     
     
31
     
    Dr. Stefan Bartels blickte auf die Uhr über dem Werktisch. Der Zeiger auf dem Zifferblatt rückte auf Mitternacht zu. Das Museum für Ur- und Frühgeschichte hatte seit neunzehn Uhr geschlossen. Weil Samstag war, arbeitete auch in der Werkstatt seit Stunden niemand mehr. Abgesehen von ihm, war das gesamte Museumsgelände verwaist. Eine Oase der Ruhe und des Friedens inmitten der belebten Stadt. Bartels liebte diese Stunden. Erst jetzt konnte er völlig ungestört seiner Arbeit nachgehen, dabei Tschaikowsky hören und sich dann und wann einen kleinen Schluck genehmigen. Es hatte bereits Gerede wegen seiner ungewöhnlichen Arbeitszeiten gegeben. Aber Studenten hatten doch immer etwas zu tuscheln und zu mauscheln. Sollte er sich jetzt Gedanken machen, nur weil sie sich über ihn das Maul zerrissen? Wohl kaum. Er war nun mal ein Nachtmensch. Es war doch bekannt, dass der Lebensstil von Nachtmenschen keine Störung der Schlafgewohnheiten, sondern nur eine Verschiebung des Schlaf-wach-Rhythmus darstellte. Er barg nicht die geringsten gesundheitlichen Risiken. Wenn es in der Arbeitswelt einen Platz für Nachteulen wie ihn gab, dann doch wohl in der Forschung. Nirgendwo sonst war es so egal, wann jemand zur Arbeit erschien. Hauptsache, er kam überhaupt. Feldmann hatte ihm vor Urzeiten mal eine Abmahnung deswegen verpasst, die Sache aber dann auf sich beruhen lassen. Offenbar hatte er eingesehen, dass es sinnlos war, ihn ändern zu wollen. Nur seine Neigung zum Alkohol war etwas, das er unter Kontrolle behalten musste. Wenn bekannt wurde, wie viel und wie regelmäßig er trank, konnte sich das zu einem echten Problem ausweiten. Er griff zur Flasche und schenkte sich noch mal ein Reagenzglas voll ein. Für ihn als Chemiker lag ein schon beinahe beruflicher Ethos darin, aus Reagenzgläsern zu trinken. Die schmale Öffnung brachte das Aroma wunderbar zur Geltung, und außerdem war so ein dünnes Röhrchen sehr viel unverfänglicher als ein irgendwo herumstehendes Grappa-glas. Er durfte nur nicht den Fehler machen, versehentlich aus einem der anderen zu trinken, die teilweise gesundheitsschädliche Substanzen enthielten.
    Er nahm einen Schluck des ausgezeichneten Tresters und schloss genussvoll die Augen. Zeit, die Arbeit zum Abschluss zu bringen.
    Eine halbe Stunde später hatte Stefan Bartels sein Fundstück gereinigt und für die Einlagerung im Depot vorbereitet. Er entschied, es damit für heute gut sein zu lassen. Die Archivkarten konnte er genauso gut morgen ausfüllen, er hatte ohnehin nicht vor, heute Nacht noch in den Keller hinunterzusteigen.
    Er streckte sich. Zeit, den Laden dichtzumachen. Nur noch schnell die Werkstoffe zusammenräumen, die Porzellanschalen reinigen und das Licht ausmachen. Zu Hause warteten ein weiches Bett und ein gutes Buch auf ihn. Außerdem hatte er sich vorgenommen, heute etwas zeitiger schlafen zu gehen. Er war gerade dabei, seine Schleifwerkzeuge mit der Stahlbürste von Steinstaub zu befreien, als er ein merkwürdiges schlurfendes Geräusch aus Richtung des Hofes vernahm. War vielleicht doch noch jemand im Haus? Hastig strich er sich die Finger am Arbeitskittel ab und ließ die Grappaflasche verschwinden. Sicher ist sicher, dachte er sich und stellte das Reagenzglas zu den Porzellanschalen in die Spüle. Dann ging er zum Fenster und blickte hinaus. Waren das etwa Schneeflocken, die da draußen tanzten? Tatsächlich. Eine durchgehende Schneedecke bedeckte den Hof. Jetzt spielte das Wetter total verrückt. Eine Weile stand er so da, konnte jedoch niemanden entdecken. Langsam ging er zurück. Mit gespitzten Ohren setzte er die Reinigung des Fundstücks fort, doch nun blieb es still. Wahrscheinlich nur eine Katze, die sich da an den

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