Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
überhaupt bewusst zu sein. Doch als der Strahl seiner Taschenlampe gerade den nackten Fels streifte, um auf den Gesichtern hinter dem Balkon zur Ruhe zu kommen, hatte er, wenn auch nur flüchtig, ein Detail wahrgenommen, das er vorher noch nicht gesehen hatte. Das konnte nur eines bedeuten: Vorhin war es noch nicht da gewesen! Ein großer, unregelmäßiger Fleck dicht vor dem Balkon der Beobachtungshöhle, der sich von der Felswand abhob und wie Moos oder Flechten aussah. Als er den Strahl wieder zurückgleiten ließ, um auf Nummer sicher zu gehen ...
... hielt er überrascht den Atem an und kniff die Augen zusammen. Dann ging er in die Hocke, ließ sich von einem seiner Männer dessen Gewehr geben und befahl: »Die Lampen auf den Bereich um die Höhle richten!« Denn ihm war aufgefallen, dass der Fleck näher gerückt war – und immer noch näher rückte!
Bruno Krasin war ein ausgezeichneter Schütze. Ehe man bis drei zählen konnte, hatte er drei Schüsse abgegeben, und alle drei fanden ihr Ziel. Die erste Kugel traf Wamus in die Flughaut zwischen linkem Arm und Oberkörper. Sie ging durch die dünne Haut, trat wieder aus und prallte als verformtes, heißes Metallplättchen mit ausgefransten Rändern vom Felsen ab. Als Querschläger richtete sie größeren Schaden an und riss ein faustgroßes pelzbedecktes, allerdings weitgehend gefühlloses Stück Fleisch aus Wamus’ Körper. Die zweite Kugel schlug in seinen Oberschenkel ein und zersplitterte, die Splitter blieben tief in den Wabenknochen stecken. Die dritte verfehlte nur um Haaresbreite sein Rückgrat und durchbohrte als glatter Durchschuss die rechte Lunge. Auch sie prallte wieder vom Felsen ab, und Wamus spürte ein Brennen auf der rechten Brustseite.
Was Krasin erwartet hatte, war schwer zu sagen; er wusste noch nicht einmal, worauf er da feuerte, vielleicht war er ja gerade dabei, einen Narren aus sich zu machen. Aber das spielte keine Rolle. Er würde nicht das Risiko eingehen, noch einen weiteren seiner Männer zu verlieren. Denn im Grunde verhielt es sich doch so: Solange sie lebten, blieb er ebenfalls am Leben. Doch wie dem auch sein mochte, mit einem solchen Ergebnis hatte er nicht gerechnet. Es überraschte ihn vollkommen.
Wamus stieß einen durchdringenden Schrei aus, der den Nachhall von Krasins Schüssen übertönte. Die albtraumhafte Gestalt löste sich von der glatten Felswand, stieß sich ab und breitete ihre gekrümmten Schwingen aus, um auf den Balkon zuzugleiten. Ein paar kräftige Schwanzschläge brachten Wamus in die richtige Richtung und schienen ihn regelrecht auf sein Ziel zuzutreiben; eine Klauenhand schloss sich um den Kopf eines der Soldaten, und der Mann wurde schreiend über die Brüstung gezerrt und fallen gelassen.
So schnell er konnte, verschwand Wamus aus dem Umkreis der suchenden Lichtstrahlen und war nicht mehr zu sehen. Gleichzeitig schlug der Soldat mit einem entsetzlichen Geräusch auf dem Hof auf, und sein Schreien brach ab. »Überall Licht an!«, brüllte Krasin. »In der ganzen verdammten Festung! Wir müssen sehen, was sonst noch alles hier ist! Schießt auf alles, was euch irgendwie komisch vorkommt!«
Keine fünfzig Meter entfernt, auf der anderen Seite, wo die Schlucht sich verengte, sahen Devetaki und Vormulac hinter herabgestürzten Felsen von der Spitze eines Geröllhaufens aus zu. In der Finsternis nahmen ihre Wamphyri-Augen wahr, was weder Krasin noch seine Männer auch beim besten Willen zu sehen vermochten – wie der schwer verletzte Wamus wutentbrannt eine enge Kehre flog und zurückraste, um Rache zu nehmen! Und nicht allein Lord Wamus, sondern auch einer seiner Blutsöhne, der von einem düsteren Spalt aus wie ein Raubvogel auf die Höhle herabstieß, vor der seinem Vater eine solche Schmach widerfahren war.
Er allerdings wurde gesehen! Als er mit gekrümmten Schwingen vor der Begrenzungsmauer der Höhle schwebte, erfassten ihn die Suchscheinwerfer, und aus einer automatischen Waffe wurden Schüsse laut. Endlich gewann der noch überlebende Soldat in der Höhle seine Fassung wieder und ließ eine sprühende, sengende, fast zehn Meter weit reichende weißlichgelbe Stichflamme los, die das Fledermauswesen frontal erfasste und es als schreienden, wild um sich schlagenden, hell lodernden Feuerball in die Schlucht hinausschleuderte.
Die brennbare Flüssigkeit ließ sich nicht abschütteln und fraß sich wie Säure immer weiter in Pelz, Haut und metamorphes Fleisch gleichermaßen. Die riesenhafte
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