Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Willenskraft eingesetzt und noch gar keinen Gebrauch von ihren anderen, um ein Vielfaches stärkeren, überlegeneren Fähigkeiten gemacht. Doch wegen der esoterischen Natur dessen, was sie Harry – quasi als Vorspiel zu dem, was Radu letztlich in ihn einpflanzen wollte – sagen musste, musste sie nun darauf zurückgreifen.
Abermals verließ sie die behelfsmäßige Bettstatt vor dem offenen Feuer, ging zur Terrassentür und zog die Vorhänge auf. Hoch über dem Garten stand der zu drei Vierteln volle Mond und tauchte sie in seinen silbrigen Glanz, sodass sie aussah wie eine Statue aus Alabaster. Seufzend breitete sie die Arme aus, streckte sie nach oben und ließ den Mondschein ihre Psyche durchdringen, um Kraft daraus zu schöpfen. Und diesmal fiel ihr die Verwandlung um einiges leichter.
Die Farben zerflossen, ein Schauer überlief sie. Ihr Fleisch schien sich zu kräuseln, geriet in Bewegung und veränderte sich. Mit einem statischen Knistern sträubte sich das Fell an ihren Flanken, richtete sich auf und legte sich wieder. Indem sie die Vorhänge zuzog, ließ sie sich auf alle viere nieder und kehrte zu Harry zurück.
Nach seinem Fleisch gierend (doch das verwehrte sie sich, denn ihre Lüsternheit hatte nichts mehr mit Sex zu tun) umfasste sie ihn sanft und befahl ihm, die Augen zu öffnen, auf den herrlichen Mond zu schauen und im Schein seiner Leselampe nur noch ihre Augen zu sehen . Dann erklärte sie ihm, machte ihm mit ihrem brennenden Blick unmissverständlich klar, was er wissen musste, um als Späher des Hunde-Lords hinaus in die Welt zu ziehen und die Drakuls und Ferenczys aufzuspüren. Dieses Wissen würde er in seinem tiefsten Innern bewahren, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, dass er darüber verfügte; desgleichen jede Information, die er womöglich sammeln würde. Niemand sonst würde je davon erfahren, bis B. J. oder Radu Lykan es wieder aus ihm hervorholten.
Im Wesentlichen erzählte sie ihm die Geschichte so, wie sie selbst sie vom Hunde-Lord Radu Lykan vernommen hatte, ja, sie gebrauchte sogar dessen Ausdrucksweise. Der Necroscope lauschte dem Raunen, Knurren und hin und wieder auch Jaulen ihrer rauchigen Wolfsstimme, den Wahrheiten, Halbwahrheiten und glatten Lügen, die ganze Nacht hindurch und sog alles, was sie ihm erzählte, in sich ein, saugte es regelrecht auf wie ein Schwamm ...
Haaaarry! Harry Keogh, hör mir zu! Hör zu und behalte im Gedächtnis, was ich dir sagen werde. Aber es sind geheime Dinge – geheimes Wissen – einzig und allein für dich bestimmt. Bewahre es und mache Gebrauch davon, wenn die Zeit reif ist. Ansonsten musst du es vergessen, damit du keinen Schaden davonträgst, der nicht wiedergutzumachen wäre.
Harry, es gibt noch eine andere Welt als die unsere, die Welt von Sonn- und Sternseite. Dort gibt es Menschen und ... noch ein anderes Volk. Und ein Grenzgebirge, das die beiden voneinander trennt. Jenseits der Berge, auf der Sonnseite, leben die Menschen; die Sternseite ist die Heimat der Wamphyri. Einst waren auch die Wamphyri Menschen, doch das ist lange her. Nun sind sie viel mehr, weit größer als Menschen, die Vampir-Lords einer Vampirwelt.
Vor langer, langer Zeit war Lord Shaitan von den Wamphyri der mächtigste Lord der Sternseite. Die anderen erhoben sich gegen ihn, doch er besiegte sie. Viele der Lords, die er als Gefangene nahm, wurden auf unterschiedlichste Weise hingerichtet; er ließ sie tief in der Erde begraben, damit sie in ihren Gräbern langsam zu Stein erstarrten, oder verbannte sie in die bitterkalten Eislande. Andere wurden in das Tor auf der Sternseite geworfen, das man für den Schlund der Vampirhölle hielt. In Wirklichkeit jedoch war es tatsächlich ein Tor ... und zwar zu dieser, zu unserer Welt! Allerdings gab es kein Zurück mehr, nachdem sie erst einmal hier waren, denn das Tor hatte sich hinter ihnen geschlossen.
Unter denjenigen, die mit ihren Knechten hindurchkamen, befanden sich einige der übelsten Burschen, Kreaturen so voller Bosheit, dass es das Vorstellungsvermögen eines normalen Menschen übersteigt: die Gebrüder Drakul, Karl und Egon, und Nonari Grobhand Ferenczy. Und diesen Furcht einflößenden Lords war es bestimmt, die Urväter des Vampirismus in dieser Welt zu werden, nicht anders als auf der Sternseite, wo sie mit zu den allerersten Vampiren gehört hatten.
Allerdings wurde gemeinsam mit ihnen auch noch ein anderer verbannt, und Er war ehrenhaft, selbst unter den Wamphyri, wo es so etwas wie wahre Ehre
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