Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
du ja, Emily.« Vater erklomm die wenigen Stufen zwischen uns und gesellte sich zu mir auf den Treppenabsatz. Förmlich verneigte er sich und bot mir seinen Arm, wie ich es ihn unzählige Male bei Mutter hatte machen sehen. Automatisch legte ich meine Hand darauf und stieg an seiner Seite die restlichen Stufen hinab. Ich spürte seinen Blick auf mir. »Bildhübsch bist du, meine Liebe. Bildhübsch.« Da sah ich zu ihm auf, erstaunt über das Kompliment, das er so oft Mutter gemacht hatte.
Ich verabscheute die Art, wie er mich ansah. So herrlich der Rest des Abends werden sollte, jener Abscheu lodert noch in mir. Sein Blick war voller Gier. Als betrachte er eines jener halbrohen Lammkarrees, mit denen er sich für gewöhnlich den Bauch vollschlug.
Noch immer frage ich mich, ob einer der anwesenden Herren im Foyer diesen brennenden Blick bemerkte. Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um.
Endlich wandte sich sein Blick von mir ab, und er bedachte das kleine Grüppchen Besucher unter uns mit einem überschwänglichen Lächeln. »Sie sehen, Simpton, es besteht kein Grund zur Sorge. Emily ist kerngesund – kerngesund!«
Ich blickte nach unten in der Erwartung, einen fassbrüstigen, ergrauenden Herrn mit wässrigen Augen und einem dicken Walrossschnauzer vor mir zu sehen, doch mein Blick wurde von den klaren blauen Augen eines schneidigen, gutaussehenden jungen Mannes erwidert, der mich freundlich anlächelte.
»Arthur!« Sein Name entschlüpfte mir, ehe ich an mich halten konnte. Seine leuchtend blauen Augen kniffen sich beim Lächeln leicht zusammen, doch ehe er antworten konnte, schnitt ihm Vater schroff das Wort ab: »Dies ist kein Abend für übertriebene Vertraulichkeiten, Emily, vor allem, da Simpton in Vertretung seines Vaters hier ist.«
Ich spürte mein Gesicht glühend heiß werden.
»Mr. Wheiler, es war sicherlich nur die Enttäuschung, aus der sich Ihre Tochter zu solcher Vertraulichkeit hinreißen ließ. Ich bin ja nun leider kein Mann vom Format meines Vaters«, scherzte er, blies die Backen auf und streckte die Brust heraus, um die Leibesfülle seines Vaters nachzuahmen. »Zumindest noch nicht!«
Ein Mann, den ich mühelos als Mr. Pullman erkannte, schlug Arthur auf die Schulter und lachte von Herzen. »Ja, ja, Ihr Vater ist einer guten Mahlzeit nie abgeneigt. Ein Laster, das ich auch teile, fürchte ich.« Er klopfte sich den beeindruckenden Bauch.
Es war dieser Moment, den Carson abpasste, um aus der rundbogigen Tür des Speisezimmers zu treten. »Es ist serviert, Miss Wheiler.«
Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass er wahrhaftig mit mir sprach. Ich schluckte, weil meine Kehle plötzlich trocken war, und sagte: »Gentlemen, wenn Sie mir ins Speisezimmer folgen würden? Mein Vater und ich fühlen uns geehrt, Sie heute Abend zu unserem bescheidenen Mahl begrüßen zu dürfen.«
Vater nickte mir lobend zu, und wir strömten auf unser großes Speisezimmer zu. Ich konnte nicht anders, als rasch über die Schulter noch einen Blick auf Arthur Simpton zu werfen. Und stolperte in Mr. Pullmans stattlichen Bauch hinein.
»Alice, pass doch auf, wo du hintrittst!«, zischte Vater scharf.
Ich war schon im Begriff gewesen, mich bei Mr. Pullman zu entschuldigen, daher sah ich seine Miene, als er hörte, wie Vater mich mit dem Namen meiner toten Mutter ansprach. Die Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Oh, Barrett, machen Sie sich keine Gedanken. Ihre tüchtige, reizende Tochter darf jederzeit in mich hineinstolpern.« Und der gute Mann legte Vater die Hand auf die Schulter, steuerte ihn sanft mir voraus ins Speisezimmer und verwickelte ihn in ein Gespräch, so dass ich einen Moment für mich hatte, um meine Fassung wiederzuerlangen. »Hören Sie, mir kam da die Idee, den Hauptbahnhof mit elektrischer Beleuchtung auszustatten. Ich denke, die Ausgaben lassen sich rechtfertigen, da die Ausstellung zu einem starken Anstieg des nächtlichen Zugverkehrs führen wird und wir große Mehreinnahmen durch die verkauften Fahrkarten haben werden. Sie wissen ja, dass ich maßgebliche Anteile am Bahnhof besitze. Ich wäre bereit …« Während sie den Speisesaal betraten, verloren sich Pullmans Worte. Ich stand wie angewurzelt da. Alice, pass doch auf, wo du hintrittst! , hallte es mir wieder und wieder durch den Kopf.
»Darf ich Sie zu Tisch führen, Miss Wheiler?«
Ich hob den Blick und sah genau in Arthur Simptons freundliche blaue Augen. »J-ja, danke, Mr. Simpton«, gelang es mir
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