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Neferets Fluch ( House of Night Novelle )

Neferets Fluch ( House of Night Novelle )

Titel: Neferets Fluch ( House of Night Novelle ) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast , Kristin Cast
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mindestens sechs Monate in Trauer um deine Mutter verbringen. Diese Zeit ist beinahe um. Sollte jemand es wagen, uns zu kritisieren, nun, so sage ich angesichts der Weltausstellung: Verflucht sei die Konvention!«
    Ich starrte ihn verständnislos an.
    Vater lachte laut auf. »Du siehst genauso aus wie deine Mutter damals, als ich sie zum ersten Mal geküsst habe. Das war an dem Abend, da wir uns kennengelernt hatten. Auch damals pfiff ich auf die Konvention!«
    »Entschuldige, Vater, aber ich verstehe nicht.«
    »Nun, mit dem heutigen Tag erkläre ich unsere Trauerzeit für beendet.« Als ich stumm den Mund aufsperrte, wedelte er mit der Hand, wie um Ruß von einer Fensterscheibe zu wischen. »Ach, einige werden schockiert sein, aber die meisten werden verstehen, dass die Eröffnung der World’s Columbian Exposition einen ernsten Notfall darstellt. Der Präsident der Bank, der die Finanzen des Komitees verwaltet, muss sich wieder in der Gesellschaft zeigen. So weiterzumachen wie bisher – abgeschottet von den Menschen und der Welt um uns herum – entspricht einfach nicht der modernen Denkweise. Aber Chicago muss eine moderne Stadt werden!« Er donnerte mit der Faust auf den Tisch. »Verstehst du jetzt?«
    »Es tut mir leid, Vater. Noch immer nicht. Du wirst mich unterweisen müssen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
    Mein Geständnis schien ihm zu gefallen. »Natürlich kannst du nicht verstehen. Es gibt so viel, was dir noch erklärt werden muss.« Er beugte sich vor und tätschelte mir ungeschickt die Hände, die ich fest im Schoß gefaltet hielt. Viel zu lange ruhte seine schwere, heiße Hand auf meinen, während sein Blick sich in mich brannte. »Zum Glück bin ich bereit, dich zu unterweisen. Du weißt, nicht alle Väter wären das.«
    »Ja, Vater«, wiederholte ich meine einstudierte Antwort und versuchte, das heftige Klopfen meines Herzens zu unterdrücken. »Darf ich dir Brandy nachschenken?«
    Da ließ er meine Hände los und nickte. »Ja, durchaus. Siehst du, du bist fähig zu lernen, wenn man dich nur richtig anweist!«
    Ich konzentrierte mich darauf, nichts von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit zu verschütten, doch meine Hände zitterten, und die Kristallkaraffe stieß gegen sein Glas, so dass es beinahe umgekippt wäre. Schnell setzte ich die Flasche ab. »Es tut mir leid, Vater. Das war ungeschickt von mir.«
    »Egal! Mit der Zeit wirst du Übung darin bekommen.« Er ließ sich auf das samtgepolsterte Sofa zurücksinken und musterte mich, während er an seinem Getränk nippte. »Ich weiß genau, was du brauchst. Gerade heute Morgen habe ich in der Chicago Tribune etwas darüber gelesen. Es scheint, als nähmen die Fälle von weiblicher Hysterie momentan stark zu. Auch dich hat diese Krankheit offensichtlich ereilt.«
    Ehe es mir gelang, einen Protest zu formulieren, der nicht seinen Zorn erregen würde, war er aufgestanden, ging leicht wankenden Schrittes zu Mutters kleinem Buffet hinüber und füllte ein Glas mit rotem Wein aus der dort stehenden Karaffe, den ich erst heute Morgen sorgsam gewässert hatte. Unsanft drückte er es mir in die Hände. »Trink. In dem Artikel, der übrigens von dem vielgelobten Dr. Weinstein verfasst wurde, stand, ein bis zwei Gläser täglich seien ein gutes Mittel gegen Hysterie.«
    Ich hätte ihm gern erklärt, dass ich nicht hysterisch war, sondern einsam, verwirrt, verängstigt und – ja! – zornig! Doch ich trank meinen Wein, achtete darauf, dass mein Gesichtsausdruck nichts verriet, nickte gleichmütig und wiederholte mein »Ja, Vater«.
    »Siehst du, so ist es besser. Jetzt werden deine Hände nicht mehr so närrisch zittern!« Er sprach, als hätte er eine Wunderkur an mir vollzogen.
    Während ich den gewässerten Wein trank und sein selbstzufriedenes Schmunzeln beobachtete, stellte ich mir vor, wie ich ihm den Wein ins gerötete Gesicht schüttete und einfach floh – aus dem Zimmer, dem Haus, ja dem ganzen Leben, in das er mich zu pressen versuchte.
    Seine nächsten Worte ließen den Wachtraum zerstieben.
    »In zwei Tagen, am Mittwoch um exakt acht Uhr abends, werden wir der Welt kundtun, dass das Haus Wheiler sich wieder der Gesellschaft öffnet. Ich habe die Einladungen bereits verschickt und von allen Geladenen Zusagen erhalten.«
    Ich glaubte, mein Kopf müsse zerspringen. »Zusagen? Zur Eröffnung des Hauses?«
    »Ja, ja, versuch mir doch zuzuhören, Emily. Natürlich wird es keine große Abendgesellschaft sein. Die wird erst am Samstag stattfinden.

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