Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
hatte das ihre schon bereit und senkte es ebenfalls in das weiche Wachs.
In diesem Moment wurde die ernste Handlung durch einen infernalischen Lärm unterbrochen.
Herold schmetterte Protest, Benefiz kläffte überschlagend, ein Kind schrie wie am Spieß, Hilda keifte, Lauryn und Tilo schimpften lauthals, und alle Hühner schienen auf einmal zu gackern.
»Verzeiht, Magister Jakob, es scheint, als ob mein Einschreiten in einem Mordfall notwendig wird.«zu
»Mord, Frau Alyss, ist ein todeswürdiges Delikt. Ich will Zeuge sein.«
»Dann folgt mir, aber mit Bedacht, Herr!«
Der ganze Hof befand sich in Aufruhr, doch als man ihrer ansichtig wurde, legten sich Staub und Federn allmählich.
»Was geht hier vor? Tilo?«
Der gab Benefiz den scharfen Befehl, dem der Spitz zögerlich folgte. Als das Gebell endete, hielt auch Herold mit seinem Krähen inne.
»Kilian ist eingetroffen, Frau Alyss.«
»Aha. Daher der Begrüßungschoral?«
»Nein, Frau Alyss. Das lag daran, dass der Junge sich mit dem Hahn angelegt hat.«
»Aha. Wo ist der Sünder?«
»Hier, hinter meinen Röcken, Frau Alyss«, ließ sich Lauryn vernehmen und zerrte dann den Jungen an einem Ohr nach vorne.
»Ist nicht wahr, der Hahn hat mich gepiekt. Hier ins Bein. Bis aufs Blut. Hat er!«
Goldschöpfig, blauäugig, ein Cherub von einem Knaben, empört ob des Torts, der ihm von der schwarzen Kreatur angetan worden war, stand er vor ihr, und Alyss bemerkte tatsächlich ein kleines Blutrinnsal an seiner Wade.
»Herold, mein Junge, ist laut und herrisch, aber bisher hat er noch nie einem Menschen weh getan. Was geschah also, bevor er dir in die Wade hackte?«
»Nichts, Frau Alyss.«
Sie ging vor Kilian in die Knie und sah ihm eindringlich in die Augen. »Nichts?«
Der Junge schüttelte den Kopf, und mit zusammengepressten Lippen gab er ein »Mhmh!« von sich.
»Du hast also ganz still und ruhig auf dem Hof gestanden, und plötzlich hat der Hahn dir in die Wade gehackt?«
»Ja, Frau Alyss.«
Alyss sah sich um. Weiße Federn wirbelten in einer kleinen Brise auf.
»Woher kommen die Federn, Kilian? Die lagen vorhin hier noch nicht herum.«zu
»Das weiß ich nicht, Frau Alyss.«
»Schön. Tilo, scheuch Herold in den Hühnerstall, wir sperren Jung Kilian so lange mit ihm zusammen ein, bis ihm einfällt, was hier eben vorgefallen ist.«
Blanke Panik stand in Kilians Augen.
»Nein«, quiekte er. »Nein, bitte nicht, Frau Alyss. Der ist aus der Hölle. Der ist vom Teufel besessen!«
»Schon möglich. Hilda vermutet das auch. Und du weißt, wie die Dämonen der Hölle die Sünder peinigen, nicht wahr?«
»Sie piken einen mit glühenden Spießen.«zu
»Richtig. Wegen welcher Sünde hat Herold dich gepikt?«
»W … weil ich mit der Henne gespielt habe.«
»Was hast du mit der Henne gespielt?«
»Nachlaufen.«
»Was hat es mit den weißen Federn auf sich?«
»D … die hat sie dabei verloren.«
»Einfach so?«
Kilian druckste noch ein wenig herum, aber als Tilo meldete, der Hahn sei nun im Verschlag, gestand er endlich, dass er es war, der dem armen Huhn die Schwanzfedern ausgerupft hatte. Was zu Herolds Vergeltungsschlag führte.
»Du bist eben erst zu uns gekommen, Kilian, und musst dich noch an uns gewöhnen. Darum erlasse ich dir die Strafe diesmal. Lauryn, Tilo, zeigt dem Jungen sein Lager, Leocadie soll sein Bein verbinden, und lasst ihm dann von Hilda einen süßen Krapfen geben.«
»Ja, Frau Alyss!«
Sie sah den Jungen noch einmal streng an, hatte aber etwas Mühe, ihre aufwallenden mütterlichen Gefühle zu verstecken. Er war ein bildschöner Knabe, und was schadete es, dass er ein Fürwitz war? Das war allemal besser als ein dumpfer Tropf oder ein Duckmäuser. Wie wäre Terricus wohl in seinem Alter gewesen …? Sicher auch so ein tollkühner kleiner Tunichtgut.
Sie hatte den Magister Jakob über diesen Zwischenfall ganz vergessen. Erst als er sich räusperte und sagte: »Das war eine vorbildliche Inquisition des Delinquenten!«, wurde ihr wieder bewusst, dass er ihr aus dem Kontor gefolgt war.
»Ich war zu rau zu ihm. Er ist erst sieben, und seine Mutter hat ihn eben hier abgeliefert, damit er einen Monat bei uns bliebe.«
»Nicht zu rau, Ihr hättet ihn auch schlagen können.«
»Manchmal geht es auch ohne das. Er wird in den nächsten Tagen bei der Ernte helfen können, dann kommt er nicht auf dumme Gedanken.«zu
Plötzlich zuckte es an den pergamentdünnen Lippen des grauen Magisters, und überrascht sah Alyss ihn
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