Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
die sie als freundliche Begrüßung deutete.
»Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, Mats. Es gibt einiges für Euch zu tun. Und ein Mittagsmahl soll neben dem Lohn auch noch dabei sein.«
»Hei, wir bekommen gesottene Enten und gefüllte Lämmer und Krapfen mit Honig und Mandeln«, jubelte Gislindis und tanzte um den Schleifstein herum.
»Eher Erbsensuppe mit geräucherten Würsten. Ihr seid nicht bei Fürsten zu Gast, Gislindis!«
»Ei nicht? Wo doch der königliche Falke hier haust?«
»Er kann froh sein, dass er nicht in die Suppe kommt. Wir haben Werkzeug zu schleifen, Gislindis.«
»Ich weiß. Für die Lese scharfe Messer und Scheren. Bringt sie Mats, und in der Zwischenzeit zeigt mir Euer klebriges Händchen, wohledle Frau.«
Alyss zögerte kurz. Gislindis pflegte sich einen netten Nebenverdienst
hereinzuholen, indem sie gutgläubigen Kunden die Zukunft aus der Hand las. Aber sie selbst hatte die Erfahrung gemacht, dass sich manch kluger Rat hinter ihren kessen Worten verbarg, und so ging sie, nachdem die Werkzeuge übergeben waren, auf das Spiel ein.
Allerdings wusch sie sich vorher den klebrigen Traubensaft von den Fingern.
»Reinlich seid Ihr, wohledle Frau. Blinken Eure Silbermünzen ebenso wie Eure Händchen?«
»Die eine, die Ihr Euch verdienen mögt, sicher.«
»Dann setzt Euch auf die Bank dort, ich will schauen, welch Schicksal Euch dräut.«
Das Kreischen des Schleifsteins umgab sie wie eine Hülle, aus der kein Wort nach außen dringen würde, und so reichte Alyss der jungen Frau in dem staubigen Gewand ihre Hand.
Mit einem Finger fuhr sie sanft die Linien nach, dann aber hob Gislindis den Kopf.
»Habt Ihr Fragen, wohledle Frau, die ich Euch beantworten soll?«
Alyss hatte Fragen, doch die, die ihr zuerst in den Kopf kamen, wollte sie nicht aussprechen. Sie waren viel zu heimlich, und manche davon wollte sie gar nicht beantwortet wissen. Gislindis wartete geduldig, ihre Hand in der ihren.
Schließlich zuckte eine Frage durch Alyss’ Hirn, und sie drängte sich mit Gewalt auf ihre Lippen: »Wer ist der Ritter von Merheim?«
Gislindis ließ ihr perlendes Lachen erklingen und zuckte mit den Schultern.
»Wer glaubt Ihr, bin ich, dass ich Rittersleut kenne?«
»Ein spitzohriges Weib, Gislindis.«
Doch die schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, den Ritter kenne ich nicht, aber ich kann mich umhören, wenn Ihr wollt. Was hat er Euch angetan?«
»Mir die Bearbeitung des Weingartens angeboten.«
»Den Euer Gatte auf Reisen vernagelt hat.«zu
»Den er verkauft hat«, knurrte Alyss zwischen den Zähnen hervor. Trotz der neuen Wendung erboste sie diese Tat noch immer.
»Die Trauben werden umso süßer, je länger sie hängen. Und die Sehnsucht tut es ihnen gleich. Bald kehrt der Herr des Falken zurück.«zu
Darauf erwiderte Alyss nichts.
»Der Junge mit dem Engelsgesicht hat einen ehrgeizigen Vater. Man munkelt, dass er im Dezember von seiner Gaffel in den Rat gewählt wird. Ehrgeiz schafft Feinde. Achtet gut auf das Kind, wohledle Frau.«
»Eure Ohren müssen Wände durchdringen, Gislindis – die Gaffeln beraten solche Fragen unter dem Siegel der Verschwiegenheit.«
»Was ist schon Schweigen …?« Und dann hob Gislindis noch einmal den Kopf und schaute Alyss mit ihren schillernden Augen an. Langsam veränderte sich das unstete Licht darin, und sie wurden tiefgrün, ihre Pupillen groß und schwarz.
»Ihr werdet die Krone noch einmal tragen. Sie gebührt Euch«, wisperte sie. Dann senkte sie die Lider, drehte Alyss’ Hand um und hauchte einen zarten Kuss auf deren Rücken.
Als sie die Augen wieder öffnete, war das verwirrende Farbspiel zurückgekehrt, und sie lachte breit.
»Was ist nun mit Erbsensuppe und Würsten? Das Lesen des Schicksals macht hungrig, wohledle Frau!«
Alyss, der noch immer alle Härchen auf den Armen nach oben standen, schüttelte das seltsame Gefühl ab, das sie ergriffen hatte, und stand auf.
»Folgt mir, und ruft auch Euren Vater herbei.«
Das Mittagsmahl verlief heiter und wurde nur von einer kleinen Schandtat unterbrochen. Denn als Lauryn in ihre Schürzentasche griff, um ihr Tischmesser hervorzuholen, gab sie ein verblüfftes »Huch!« von sich. Dann wühlte sie noch einmal darin herum und förderte ein kleines, heftig quiekendes Mäuschen hervor, das dringend seine Freiheit verlangte.
»Das, junger Kilian, ist vorhin noch Malefiz’ rechtmäßige Beute gewesen!«, sagte sie und stopfte dem Jungen das Tier in den Halsausschnitt seines
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