Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
vorhin zurückkam, da war das Fenster hinten an der Werkstatt offen. Dabei hab ich gestern ganz genau darauf aufgepasst, dass alles zu war, bevor ich gegangen bin.«
Tilo reichte Lis den Becher, und sie nahm ein paar hektische Schlucke. Dann fuhr sie mit ihrem Bericht fort, aus dem Alyss entnahm, dass einer oder mehrere Fremde im Haus gewesen waren, reichlich Unordnung verursacht und einen – nicht sehr großen – Geldbetrag entwendet hatten, nämlich das Beutelchen mit Münzen, das Aldenhoven der Magd für die täglichen Beschaffungen dagelassen hatte.
»Ich begleite dich, Lis, und sehe mir das an. Und dann gehen wir gemeinsam zum Turm. Ein Einbruch muss den Wachen gemeldet werden.«
Die Begleitung zum Haus nahm Lis dankbar an, die Meldung bei den Offiziellen schien ihr jedoch nicht zu schmecken, aber Alyss bestand darauf.
Groß war der Schaden nicht, den die Einbrecher hinterlassen hatten. Ein paar Schemel waren umgestoßen, eine Truhe durchwühlt und seltsamerweise alle Betten auseinandergerissen worden. Im Turm hörte man den beiden Frauen ernsthaft zu und versprach, nach Verdächtigen Ausschau zu halten, was Alyss mit einem missmutigen Knurren quittierte. Man würde gar nichts tun. Aber was auch? – die Übeltäter hatten keine Spuren von sich hinterlassen. Ob Bettler, Fahrende, übelgesinnte Nachbarn oder übermütiges Jungvolk – mögliche Täter gab es zahlreiche. Sie kehrten zum Haus zurück, und damit die arme Frau nicht Not leiden musste, drückte Alyss ihr
ein paar Münzen in die Hand, mit denen sie die notwendigen Einkäufe erledigen konnte.
»Frau Greta wird sie mir schon zurückzahlen«, beruhigte sie die zögernde Magd und eilte dann nach Hause zurück. Die Mittagszeit war schon lange verstrichen, und alle waren eifrig mit ihren Aufgaben beschäftigt. Hilda hatte eine Pastete für sie aufgehoben, die Alyss am Küchentisch sitzend verspeiste.
»Wir müssen Honig kaufen, Frau Alyss. Ich habe den letzten für die süßen Wecken gestern verbraucht.«zu
Da Alyss, genau wie ihre Mutter, eine große Vorliebe für süße Wecken hatte, stimmte sie diesem Einkauf umgehend zu. Und da sie auch ihren neuen Hausgast am Vormittag verstohlen mit einem solchen Wecken aus der Küche hatte kommen sehen, fragte sie denn auch gleich misstrauisch: »Hat Kilian heute die Vorräte geplündert, Hilda?«
Die Haushälterin schüttelte den Kopf.
»Nein, Frau Alyss, den Wecken hat er sich rechtmäßig erbettelt. Der Junge hat den Schalk im Nacken, aber er ist ein süßer kleiner Kerl, nicht wahr?«
»Ein Fratz.«
»Wär besser, Ihr hättet auch so einen«, grummelte Hilda und hackte wild auf ein Stück Fleisch ein.
»Besser wär viel.«
»Dabei sorge ich ständig dafür, dass Ihr eine Erbse in Eurem Essen habt.«zu
»Erbse? Wieso Erbse?«
»Sie fördert die Fruchtbarkeit.«
Alyss war kurz davor, sich zu verschlucken. Dann aber fasste sie sich.
»Hilda, mein Ehemann ist nicht im Haus. Es wäre nicht
recht, wenn ich in seiner Abwesenheit sehr stark zur Fruchtbarkeit neigen würde.«zu
Hilda brummte etwas Unverständliches vor sich hin, und Alyss spuckte heimlich die kleine harte Kugel aus, auf die sie eben gebissen hatte. Ihre Haushälterin war äußerst abergläubisch, vertraute auf sehr viele seltsame Rezepte und fand auch immer wieder Quellen, die ihr neue offenbarten. Aber sie meinte es gut mit ihr, und darum ritt sie nicht weiter auf dem Thema herum.
Mehr dachte sie über den Jungen nach. Sie hatte ihn gänzlich Lauryns und Tilos Obhut anvertraut, weil, wie sie sich sagte, er sich bei den jungen Leuten wohler fühlen würde als unter ihrer strengen Aufsicht. Beide hatten kleine Geschwister und kamen augenscheinlich ganz gut mit dem Knaben zurecht. Seine Pflichten erfüllte er, und den einen oder anderen Schabernack durfte man einem Kind schon mal durchgehen lassen. Ihre Eltern hatten es auch nicht anders gehalten. Kilian zeigte erstaunlich wenig Heimweh oder jammerte auch nicht der mütterlichen Zuwendung nach, sondern schien sich mit dem Aufenthalt in ihrem Haus klaglos abgefunden zu haben. Sie hatte bisher nicht oft mit ihm zu schelten gehabt, aber sie hatte ihm auch keine liebevolle Aufmerksamkeit geschenkt.
Obwohl sein engelhaftes Aussehen sie manchmal fast dazu verleitete, ihn an sich zu ziehen und zu herzen.
Sie versagte sich dies. Es wäre … zu nahe an einem Schmerz gewesen, der nicht wieder aufleben sollte.
Ein Fassbender hatte sie aufgehalten, und als sie nach dem Vesperläuten in die
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