Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
nun doch Lauryn die weißen Felle an ihrem neuen Kleid trug, denn Hedwigis hatte offensichtlich ihrer Mutter zwei rotbraune Fuchsschwänze abgeschwatzt, die sich jetzt um ihren Ausschnitt schmiegten. Sie gaben ihrem blassen Gesicht etwas Farbe, und sie wirkte beinahe hübsch, zumal sie auch ihre missmutige Miene an diesem Tag abgelegt hatte. Tilo prunkte mit seinem neuen Lammfellwams, und sie selbst hatte die pelzgefütterte Jacke angelegt. Möglicherweise würde es ihr darin zu warm werden, aber eine schändliche Eitelkeit – eine Sünde, die sie zu beichten bereit war – zwang sie dazu, dieses köstliche Gewand der Öffentlichkeit vorzuführen.
Beschwingt führte sie die Mädchen, Tilo, der Kilian fest an der Hand hielt, und das Gesinde zur Prozession, wobei sich auch Merten, Arndts Stiefsohn, anschloss.
Alyss begrüßte den jungen Mann, kaum zwei Jahre älter als sie, herzlich. Er war zwar ein Geck und lebte vom Geld seiner Großmutter und früher auch von Arndts, aber er hatte gute Beziehungen zu den Söhnen der Patrizier und der Landadligen und war daher auch immer eine Quelle des unterhaltsamsten Klatsches. Er tändelte auf harmlose Weise mit den Jungfern, was deren Laune zu heben pflegte, und sagte auch ihr immer wieder nette Schmeicheleien. Heute allerdings bemerkte sie, dass er Hedwigis mehr Aufmerksamkeit schenkte als gewöhnlich und das Mädchen immer rosigere Wangen bekam. Noch
mochte sie nicht einschreiten, aber später würde sie Hedwigis mahnen müssen, sich nicht zu sehr mit losen Männern wie Merten einzulassen.
Die Gruppe der Priester zog mit dem Schrein der Ursula vorbei, singend und betend, ihnen schlossen sich die Gaffeln und Zünfte an, die Ursula-Bruderschaften mit dem Schiff der Heiligen. Alles in allem ein farbenprächtiger Aufzug, bei dem die lebhaften Farben der edlen Gewänder, Gold und bunte Steine im Sonnenlicht leuchteten.
Alyss und ihr Grüppchen folgte der Menschenmenge, die sich nicht ganz so fromm und andächtig verhielt, wie es vielleicht wünschenswert war. Man begutachtete die neuen Kleider, tauschte Grüße, tuschelte sich Neuigkeiten und Klatsch zu, versuchte, die allgegenwärtigen Taschendiebe und Beutelschneider an ihrem unlauteren Tun zu hindern oder gab den Bettlern am Wegesrand Almosen. In der Nähe der Dombaustelle trottete die Tavernenwirtin Fygen ein paar Schritte neben ihr her und wurde dabei gleich eine Bestellung für ein Fass Wein los, Pitter, der Bader, mit seinem lustigen Gefolge winkte ihr vergnügt zu, und zahlreiche andere Bekannte warfen mehr oder weniger bewundernde Blicke auf ihre pelzverbrämte Jacke.
Als sie die Kirche von Sankt Ursula erreichten, betete Alyss daher mit besonderer Inbrunst zu der Heiligen, der Patronin der Jungfrauen, und legte ihr das Wohlergehen der ihr anvertrauten Jungfern ans Herz. Da sie auch Hilfe bei Kinderkrankheiten gewährte, bat sie um Gesundheit für Kilian. Schließlich, sehr leise und mit leicht geröteten Wangen, flüsterte sie der großherzigen Ursula als Beschützerin der Tuchhändler sogar zu, sie möge die Vertreter dieses Standes vor Schaden bewahren.
Auch wenn sich einer von ihnen bei den Schwälbchen am Berlich herumtrieb.
11. Kapitel
D ie Heilige, der so ausgiebig gehuldigt worden war, zeigte sich in den beiden nächsten Tagen wohlgesinnt. Die Jungfern gingen willig und ohne die üblichen Zänkereien ihren Aufgaben nach, Kilian erfreute sich bester Gesundheit, und Master John schien von den ansässigen Tuchhändlern wohlwollend aufgenommen worden zu sein. Der Wein gärte in seinem Bottich, die Rosinen trockneten auf der Darre, Tilo half energisch, die Pfähle aus dem Erdreich zu ziehen, und musste nur einmal von einem bösen Splitter befreit werden. Alyss hatte diese kleine Operation gerade erledigt, als eine völlig aufgelöste Frau mit verrutschtem Gebende und zerknüllter Schürze durch die Toreinfahrt gelaufen kam.
»Frau Alyss? Seid Ihr Frau Alyss?«, keuchte sie.
»Ja, die bin ich. Was liegt an?«zu
»Ich bin Lis, die Magd von Greta Aldenhoven. Es ist furchtbar, wohledle Frau, ganz furchtbar!«
»Nun setz dich erst einmal hin, Lis. Tilo, bring ihr einen Becher Most.«
Alyss begleitete die Magd zu der Bank an der Hauswand und nötigte sie, sich zu setzen. Sie tat es, knäuelte aber weiter das Leinen ihrer Schürze mit den Händen.
»Ich hab gestern meine Muhm besucht, wohledle Frau. Das hat die Herrin erlaubt. Und da bin ich über Nacht geblieben, weil’s doch so spät wurde. Und als ich
Weitere Kostenlose Bücher