Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
geblieben war.
»Ihr habt bemerkt, wie Kilian die Regenwürmer in die Schüssel tat?«, fragte sie ihn leise.
»Ja, Mistress Alyss. Ein trickreiches Stückchen war das, was der kleine rascallion da vollbracht hat. Er hat Euch gefoppt mit seinen Schmutzfingern und alle anderen abgelenkt mit des Katers Ratte. Er muss die Würmer in seinem Kittel gehabt haben.«
»Ich werde mit ihm über die Schändlichkeit der Rachsucht sprechen müssen.«
»Warum? Rache ist süß, Mistress Alyss. Er hat sie genossen und dafür die Schläge hingenommen.«zu
»Ihr scheint ihn gut zu verstehen, Master John.«
»Er hat tollkühn, aber erklärbar gehandelt und steht für die Folgen ein. Er nötigt mir Achtung ab. Und Euch auch, Mistress Alyss.«
Das stimmte allerdings.
»Dennoch muss der Junge seine Grenzen gesetzt bekommen. Und ich weiß nicht wie. Ich habe den Verdacht, dass seine Eltern ihm vieles durchgehen lassen.«zu
»Sicher. Solche wie er sind schwer zu zähmen.«
»Wie, Master John, zähmt man sie? Euch gelingt es bei den Raubvögeln, gibt es da auch einen Rat für wilde Knaben?«
»Die Falken zähmt man mit Belohnung und Zucht, Mistress Alyss. Mit dem Gewähren von Futter und Jagd und mit Binden in Fesseln. Doch Vögel haben wenige Leidenschaften. Die Leidenschaftlichen aber zähmt man durch Liebe und Schmerz.«zu
Er sagte es mit immer leiser werdender Stimme, die letzten Worte nur ein heiseres Flüstern. Und Alyss spürte das Prickeln auf ihrer Haut.
Über wessen Zähmung sprach er?
»Frau Alyss, dürfen wir aus einem Eurer Bücher vorlesen?«, fragte Hedwigis in ihr Schweigen.
»Das dürft Ihr, aber Kilian bringe ich jetzt zu Bett. Komm, Junge.«
Sie gab Hedwigis den Schlüsselring und wies auf den kleinen Schlüssel für die Truhe.
»Neben der Schatulle, Hedwigis, liegen die Bücher. Nimm das mit dem braunen Einband, in das die Blattranken geprägt sind. Es enthält hübsche Minnedichtung, die Leocadie gefallen wird.«
Begeistert eilte Hedwigis nach oben, und Alyss forderte Kilian auf, ihr zu folgen. Er tat es willig, aber ihren mahnenden Worten über sein wenig tugendhaftes Verhalten lauschte er mit einem Schweigen, das sie ahnen ließ, dass ein jedes einzelne an ihm abperlte wie Regen an einer Glasscheibe.
Liebe und Schmerz. Weder durfte sie ihm Liebe schenken, noch mochte sie ihm Schmerzen bereiten. Und so sprach sie mit ihm das Nachtgebet, deckte ihn zu und verließ unverrichteter Dinge die Kammer.
John war fort.
Die Jungfern lasen Liebeslieder.
Alyss seufzte.
12. Kapitel
D ie ersten Herbststürme fauchten über das Land, düstere Regenwolken entledigten sich ihrer Last mit Macht, das Dach war undicht geworden, in die Kammer der Mädchen
tropfte es an einer Stelle hinein. Der Leyendecker hatte sie auf übermorgen vertröstet; daher wollte Tilo selbst eine notdürftige Reparatur übernehmen. Und dann sorgte Magister Hermanus für weiteres Aufsehen. Er war nämlich nicht zum Abendessen erschienen, und obwohl Alyss sich darüber nicht sonderlich grämte, wurde sie doch stutzig, als sie Jung Kilian beobachtete. Der Knabe glühte förmlich vor Genugtuung, und ein Instinkt sagte ihr, dass er etwas mit diesem Umstand zu tun hatte. Eine Befragung der Anwesenden und des Gesindes ergab, dass der Hauspfaff um die Mittagszeit wie üblich von der Pfarrschule die Gasse hinuntergekommen war. Seither jedoch blieb er unauffindbar. Nicht einmal Hilda hatte ihn gesehen.
Alyss nahm Kilian ins Gebet. Der Junge hatte etwas zu verbergen, wollte es aber nicht herausrücken. Und so sah sie sich gezwungen, das Schlimmste wahr zu machen. Sie schleppte ihn eigenhändig zum Hühnerstall, in dem das ganze Federvieh sich vor dem Regen zusammendrückte, und sperrte ihn zu dem schwarzen Hahn. Mit Gewalt verschloss sie ihre Ohren vor den Schreien des Gefolterten.
Tilo aber hatte ebenfalls einen sechsten Sinn entwickelt, vielleicht, weil er sich in die Denkweise des kleinen Ganoven versetzen konnte, und hatte die Tür zum Weinkeller geöffnet. Hier fand sich Magister Hermanus, durchgefroren, in nassen Kleidern und dampfend vor Zorn. Kilian, so erfuhren sie, hatte, als er mittags durch die Toreinfahrt trat, den bissigen Köter auf ihn gehetzt. Um sein Leben zu retten, war Hermanus in den Keller geflüchtet, doch da hatte dieser Drecksbalg den Riegel vor die Tür geschoben.
Das ging tatsächlich einen ganzen Schritt zu weit, und nachdem der Hauspfaff mit trockenen Kleidern und heißem
Würzwein versorgt worden war, erhielt Kilian
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