Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
stand. Keine Spur mehr von dem Bodybuilder. Nyberg wartete. Sein Wagen stand auf der anderen Straßenseite. Es würde ein Leichtes sein, dorthin zu laufen. Hauptsache, das Taxi kam bald.
Ihn befiel wieder das Gefühl, versagt zu haben. Natürlich hätte er den Bodybuilder niederschlagen können. Ihm wäre es auch gelungen, Fazekas unter Druck zu setzen und sich die Fotos zu schnappen. Und natürlich konnte er das auch jetzt noch tun. Wer würde heutzutage schon dazwischengehen, wenn er Fazekas durch die Tür ins Treppenhaus und nach oben in die Wohnung zerren würde, mit Reisetasche und allem? Nicht viele.
Gerade legte er die Hand auf die Türklinke, als das Taxi kam. Fazekas war schneller eingestiegen, als Nyberg reagieren konnte. Das Taxi fuhr los.
Immer handelte er ein bisschen zu spät.
Während er zu seinem Wagen rannte, musste er nüchtern feststellen, dass er nicht mehr mithalten konnte. Mit dem Leben als Polizist. Gunnar Nyberg war ein Schriftsteller geworden. Und viel zu langsam. Er hatte ein schlechtes Timing.
Alle Taxis in Athen sahen gleich aus. Gelb, identisches Taxischild. Er war der Ansicht, das richtige zu verfolgen, als sie sich dem Zentrum näherten. Aber ganz sicher konnte er nicht sein. Außerdem wurde es zunehmend unruhiger auf den Straßen. Die Leute rannten die Bürgersteige entlang. Lärm drang von draußen ins Auto, unklar, woher er kam. Noch mehr Menschen, vereinzelte Schreie. Das Gedränge nahm zu, die Leute sprangen auf die Fahrbahn, überall flatterte etwas, zerrissene Kleidung, Fahnen, Flaggen. Und die Menschen hatten Waffen – vor allem Steine jeder Größe. Unten am Syntagmaplatz vor dem Parlament aber waren es dann nicht mehr nur Steine – es waren zerschlagene Marmortreppen der Luxushotels, in denen nur reiche Ausländer abstiegen.
Hier herrschte Krieg. Auf den Stufen des Parlamentsgebäudes, wo die symbolisch gekleideten Wachen sonst wie Paradiesvögel auf- und abstolzierten, hatte sich ein ganzes Geschwader schwer bewaffneter Polizisten mit Gasmasken aufgestellt. Auf der anderen Seite der Wand aus Tränengasnebel stand das Volk, stand Griechenland. Es schien, als hätte sich ein repräsentativer Querschnitt aus der Bevölkerung auf dem westlichen Teil des Platzes an der Straße Stadiou eingefunden. Da waren die linken Hooligans mit nackten Oberkörpern, die den Polizisten abgebrochene Marmorstücke entgegenwarfen. Aber es gab auch ältere Damen, die mit ihren Gehstöcken fuchtelten, sowie eine Gruppe Akademiker, die mit ihren Geldbörsen klapperte. Dort stand die personifizierte Wut des Volkes gegen ein immer unberechenbarer werdendes, sich täglich verschlechterndes Leben, gegen die Korruption, gegen die EU, gegen die jahrelangen ökonomischen Lügen, die das Regime verbreitet hatte, mithilfe der Investmentbanken wie Goldman Sachs. Lügen über eine kreative Buchhaltung, die am Ende ein wenig zu kreativ wurde. Und deren Folgen nun die Bevölkerung aufs Schlimmste ausbaden musste.
Am Rand der Demonstration sah Gunnar ein paar kleinere Gruppen von Männern in schwarzen T-Shirts. Das war der Mob der Goldenen Morgenröte, der auf seinen Einsatz wartete. Bei dieser Art von Konflikt gingen sie immer als Gewinner hervor. Sie warteten geduldig den richtigen Zeitpunkt ab.
Dem Taxi – hoffentlich war es das richtige – gelang es, der Meute mit einer Kehrtwende zu entkommen und in die entgegengesetzte Richtung davonzufahren. Dafür umschlossen die Demonstranten nun Nybergs Wagen und begannen, ihn hin und her zu schaukeln. Es wurden immer mehr, eine beängstigend große Menschenmenge, die sich um seinen Mietwagen drängte. Als sich zufällig hinter ihm eine Lücke auftat, nutzte er diese Gelegenheit. Er legte den Rückwärtsgang ein, brauste los, wendete den Wagen, bog in die nächstgelegene Straße und jagte mit quietschenden Reifen davon.
Es gelang ihm, das Taxi wieder einzuholen, kurz bevor es in die Straße abbog, die auf den Lykabettoshügel, den Stadtberg von Athen, hinaufführte, der wie der geduldete Verwandte vom Land seit Jahrtausenden neidische Blicke auf die Akropolis warf. Danach war es weitaus einfacher, dem Taxi auf den verschlungenen Straßen zum Flugplatz zu folgen.
Auf dem Weg rief er Paul Hjelm an und beschrieb die Umstände, ohne sein eigenes Versagen zu stark zu betonen, und stellte die etwas elliptische, weil unvollständige Frage: »Der nächste Flug von Athen nach Budapest?«
Er hörte Hjelm im Hintergrund auf der Tastatur seines Computers tippen
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