Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Schlitze im Holz, meinte einen Gegenstand in einer relativ breiten Spalte zu sehen.
Da wurde die Wohnungstür geöffnet.
Gunnar Nyberg dachte keine Sekunde lang nach, sein Instinkt übernahm. Er warf sich unters Bett. Sein Knie stieß gegen eine Reisetasche, was ein Geräusch verursachte. Für einen Moment war er sicher, dass seine Tarnung aufgeflogen war. Qualvolle Sekunden lang. Dann hörte er ein Gespräch, das draußen im Flur geführt wurde. Es war eindringlich. Eindringlich und affektiert genug, um die Geräusche eines großen Mannes zu übertönen, der unter einem Bett herumkroch.
Gesprochen wurde in gebrochenem Englisch.
»Aber warum? Etwa jetzt gleich?«
»Ganz genau, jetzt gleich.«
»Aber wir sind doch mitten in den Vorbereitungen ... Medienstrategien ... all das.«
»Daran ändert sich auch nichts. Ich arbeite von dort aus weiter. Das ist kein Problem.«
»Jobbik, also. Okay, ich verstehe.«
»Nein, du verstehst nichts. Aber das ist auch in Ordnung. Kannst du mir ein Taxi rufen?«
Schweigen. Plötzlich eine hektisch tastende Hand unter dem Bett. Nyberg sah sie ins Leere greifen. Zuerst wollte er die Reisetasche in ihre Richtung schieben, aber er hielt sich zurück. Zog die Beine an und wartete. Endlich fand die Hand, was sie suchte. Zerrte die Tasche unter dem Bett hervor. Nyberg hörte, wie Sachen in die Tasche geworfen wurden.
»Aber, du weißt schon, ich meine ... was ist mit uns?«
»Mit uns? Wie ich schon sagte: Es ändert sich nichts.«
»Aber warum ist das so ...?«
»Das ist nur vorübergehend. Die wollen mich aus der Schusslinie nehmen. Ich komme bald wieder. Hast du das Taxi bestellt? Wie weit ist es bis zum Flughafen?«
Erneut Schweigen. Bewegungen. Ein griechischer Wortwechsel, gehetzt, fast jähzornig.
Dann erneut die Stimme des Jüngeren: »Das Taxi ist in zehn Minuten da. Bis zum Flughafen dauert es etwa eine Dreiviertelstunde. Hast du ein Ticket?«
»Sie mailen es mir.«
Gunnar Nyberg lag unter dem Bett und dachte nach. Er dachte scharf nach. Vielleicht war das hier die letzte Gelegenheit. Vielleicht würde Fabien Fazekas in Ungarn untertauchen und für immer von der Bildfläche verschwinden. Jobbik. Eigentlich müsste er sich jetzt unter dem Bett hervorrollen, den Bodybuilder mit einem gut platzierten Schlag zu Boden schicken und sich dann auf Fazekas stürzen. Warum nicht mit dem Dildo?
Aber das Risiko war zu groß. Der Bodybuilder war jung und durchtrainiert. Nyberg erkannte mit Steroiden gestählte Muskeln aus tausend Metern Entfernung, und diese hier waren sogar direkt vor ihm. Wenn er doch nur eine Waffe hätte ...
Nein, er musste sich gegen seinen Instinkt entscheiden und abwarten. Vielleicht würde sich noch eine Gelegenheit am Flugplatz ergeben. Sonst wäre er gezwungen, nach Budapest zu fliegen. Wo die rechtsextreme Partei Jobbik Fabien Fazekas »aus der Schusslinie nehmen« wollte. Nyberg erkannte drei wichtige Dinge: Dass Jobbik Fazekas in Ungarn untertauchen ließ. Dass mit der Schusslinie Nyberg gemeint war. Und dass es ein Leck geben musste.
Paul Hjelm hatte ihm versichert, dass nur er selbst, Laima Balodis und Marianne Barrière von Fazekas’ Rolle in der Erpressungsaffäre wussten und dass der Mann sich in Griechenland aufhielt. Jemand musste geplaudert haben, und das war wohl kaum Paul Hjelm gewesen. Und auch nicht Balodis, eine von Hjelms engeren Vertrauten.
Nyberg hörte, wie Fazekas in seinem Kleiderschrank wühlte, noch etwas in die Tasche stopfte und dann die Wohnung verließ. Der Bodybuilder schlurfte hinter ihm her. Dann wurde die Tür zugezogen.
Nyberg wartete eine Minute. Es war eine unendlich lange Minute. Dann krabbelte er aus seinem Versteck. Natürlich würde er den Weg zum Flughafen von Athen, Eleftherios Venizelos, finden, aber es würde wesentlich einfacher sein, wenn er die ganze Zeit über Sichtkontakt zu Fazekas hätte. Dem Taxi folgen könnte. Zehn Minuten, hatte er gesagt. Wie viele waren es jetzt noch? Fünf?
Er nahm sich die Zeit, den Kleiderschrank zu überprüfen, folgte der Spalte im Holz bis nach unten. Aber da war nichts zu sehen. Das, was dort gesteckt hatte, war nicht mehr an seinem Platz.
Vermutlich waren es die Fotos gewesen, und Gunnar Nyberg hatte sie sich entgehen lassen. Er hatte sich Fazekas und die Fotos entgehen lassen. Er hatte versagt.
Aber jetzt musste er nach vorn sehen. Den Fehler wieder ausmerzen. Durch das kleine Fenster der Eingangstür konnte er erkennen, dass Fazekas allein auf der Straße
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