Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Sicht nur noch mit legalen Geschäften auszukommen und sich vollkommen natürlich in die hyperkapitalistische globale Gesellschaft zu integrieren, in der sich niemand darum scheren würde, ob das Unternehmenskonglomerat auf einem Fundament aus Leichenteilen und schrecklichem Leid basierte. Solange die Bestechungsgelder umfangreich genug waren.
So funktionierte eine kerngesunde Volkswirtschaft. Denn Geld stank nicht. Besonders dann nicht, wenn es gewaschen wurde.
Trotzdem kam Hjelm der Gedanke zu gewagt vor: die Ölbranche. Ein Grundpfeiler der globalen Infrastruktur. Das schwarze Gold.
Die Tatsache, dass die staatlich gelenkten Ölkonzerne achtundachtzig Prozent der Erdölvorräte kontrollierten, hinderten die sechs größten privaten Konzerne nicht daran, zusammengenommen mehr als zweihundertdreißig Milliarden Euro im Jahr umzusetzen. Das waren schwindelerregende Summen.
Wenn es sich nun so verhielt, dass die ’Ndrangheta die Kontrolle über einen der zehn größten Ölkonzerne der Welt übernommen hatte, dann war sie verständlicherweise wütend, sicherlich sogar sehr wütend, dass der Branche durch einen radikalen Gesetzesentwurf aus der Feder einer der mächtigsten Politikerinnen der EU schwere Knüppel zwischen die Beine geworfen werden sollten. In diesem Fall würde die ’Ndrangheta den Gesetzesentwurf wohl verhindern wollen.
In ihrer Welt würde sie den Widerstand einfach niederknüppeln, aber nun bewegte sie sich in einer Welt, in der zumindest vorerst noch andere Gesetze als das Faustrecht galten. Also musste man zu anderen Methoden greifen, diskreter arbeiten und sich nicht direkt einmischen.
Je länger Paul Hjelm über die Sache nachdachte, desto einleuchtender erschien ihm seine Vermutung. Das big business war heutzutage so groß, dass die Unternehmen mächtiger waren als die meisten Länder. Staaten standen am Rande des Bankrotts, weil sie den Großkonzernen Geld schuldeten. Und diese waren ohne Weiteres bereit, ganze Staaten, ganze Bevölkerungen für die eigene Dividende zu opfern. Was unterschied diese Großkonzerne von der Mafia? Dass sie Steuern bezahlten? Klar, solche Beispiele gab es, aber auch Beispiele für das Gegenteil, und in einigen Fällen war es unklar, ob die mächtigsten Konzerne den Staaten wirklich mehr bezahlten, als über verschiedene Formen von Subventionen, Steuervergünstigungen und anderem wieder an sie zurückfloss. Und mittlerweile hatten sich die Großkonzerne auch so manches von der Mafia abgeschaut, vor allem was clanartige Organisationsformen und absolute Treueschwüre anbelangte. Die Kunst, Sekten zu bilden.
Da entsprach es nur einer grausigen eiskalten Logik, dass einer der größten Ölkonzerne der Welt, Entier S. A., die Frau aufzuhalten versuchte, die eine Bedrohung seiner Geschäfte darstellte, zumal wenn die Interessen der süditalienischen Mafia innerhalb des Konzerns tangiert wurden. Und zu diesem Zweck hatte man sich an eines der weltgrößten und moralisch höchst zweifelhaften Sicherheitsunternehmen gewandt, Asterion Security Ltd., das auch in Amsterdam präsent war. Einer Stadt, die inmitten der anderen Eurostädte Brüssel, Den Haag und Straßburg das Zentrum in diesem Teil der Welt bildete.
Das Szenario wurde immer schlüssiger. Man hatte versucht, die EU-Kommission zum Schweigen zu bringen, das war nicht gelungen, man hatte versucht, das Forschungsprojekt zu stoppen, das war ebenfalls nicht gelungen. Was noch blieb, war Marianne Barrière persönlich. Ihr Wort. Ihr Wort, bevor es die Medien erreichte. Ihr Wort, bevor es auf Papier gebannt und unterzeichnet wurde. Ihr Körper, bevor er physisch den Gesetzesentwurf bei der entsprechenden Behörde eingereicht hatte.
Sie hatten noch eine letzte Chance.
Paul Hjelm hatte keinen Zweifel mehr. Antonio Rossi war in Amsterdam, um den Mord an Marianne Barrière zu beaufsichtigen, bevor ihr Gesetzesentwurf Wirklichkeit wurde.
Rossi selbst würde mit aller Wahrscheinlichkeit das Land rechtzeitig vor dem Attentat verlassen. Man würde ihn nie damit in Verbindung bringen. Aber er würde die Durchführung sicherstellen, ohne je in Kontakt zu Asterion zu treten. So musste es sein, dachte Paul Hjelm, Antonio Rossi war auf dem Absprung nach Italien, deshalb hielt er sich jetzt so bedeckt. Sie hatten höchstens noch ein paar Tage, um den Chip in seinen Körper zu schleusen. Den Chip, den man trinkt und der sich mittels mikrofeiner Widerhaken im Magen festsetzt.
Das Risiko musste von jetzt an anders bewertet
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