Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Untergebenen in einer Reihe auf den Bildschirm und versuchte sie mit den Augen eines italienischen Mafiabosses zu sehen.
Paul Hjelm hatte eine Menge legitimer Gründe dafür und hätte mit aller Wahrscheinlichkeit sein Handeln auch vor einem Saal radikaler Feministinnen erläutern können. Trotzdem kam es ihm moralisch zweifelhaft vor, die Perspektive einzunehmen, die die Welt ständig zu dominieren drohte, die Machtperspektive, die Perspektive eines Mannes, der eine Frau zu einem Objekt machte. Die Perspektive, die Menschen zu Dingen machte. Kurz gesagt: Welche hatte den größten Sex-Appeal?
Es waren fünf – Jutta Beyer, Miriam Hershey, Laima Balodis, Corine Bouhaddi und Donatella Bruno. Alle waren auf ihre Weise anziehend und in knackigem Alter. Keine von ihnen war älter als fünfunddreißig. Antonio Rossi war selbst um die fünfunddreißig, ein Aufsteiger bei der ’Ndrangheta, wahrscheinlich Süditaliener, vermutlich aus Kalabrien. Ein typischer Mittelmeertyp. Männer dieses Typs standen auf Blondinen, jedenfalls als Zufallsbekanntschaften. Die Blondesten, die Zuhälter Paul Hjelm anzubieten hatte, waren Beyer und Balodis, ein norddeutscher und ein baltischer Typ.
Er hatte Laima Balodis im Laufe dieses Falles näher kennen- und ihre Persönlichkeit zunehmend schätzen gelernt. Sie war schließlich die heimliche Heldin der Opcop-Gruppe, die entscheidende Rollen in ihren bedeutendsten Fällen gespielt hatte. Darüber hinaus mochte er ihren respektlosen Humor, der sie wahrscheinlich während ihrer langen Zeit als falsche Prostituierte bei der russisch-litauischen Mafia am Leben erhalten hatte. Was ebenfalls für sie sprach: ihre Routine als Undercoveragentin. Aber – und nun war die Machoperspektive gefragt – sah sie nicht zu osteuropäisch aus? War sie hübsch genug für einen stilbewussten Italiener?
Jutta Beyer war es jedenfalls, wenn sie denn wollte, aber sie ließ sich nicht davon beirren, was andere dachten, und war mit ihrem nüchternen Stil zufrieden. Bloß nicht gefallen, nur um zu gefallen. Mit ihr konnte es funktionieren, aber gerade ihre Authentizität war eventuell ein Nachteil. Würde sie überhaupt überzeugend genug handeln können?
Zuhälter Hjelm musste die Blondinenperspektive vorerst in Klammern setzen.
Corine Bouhaddi war in Hjelms Augen ungemein attraktiv, doch es lag auf der Hand, dass ihre dunkle Haut und ihr muskulöser Körperbau sie disqualifizierten. Für einen Macho war sie von geringem Interesse. Antonio Rossi würde sie keines Blickes würdigen.
Zwei dunkle Schönheiten blieben Hjelm noch. Mit Miriam Hershey hätte er obendrein eine routinierte Undercoveragentin. Oder er könnte ein Risiko eingehen und ihm eine Landsmännin schicken. Vielleicht war Rossi nach seinem langen nordeuropäischen Exil ja nach Italienerinnen?
Hjelm klickte die ersten drei Frauen weg und zoomte die Bilder von Miriam Hershey und Donatella Bruno näher heran, sodass sie nebeneinander auf dem Bildschirm lagen. Da durchzuckte ihn etwas wie ein elektrischer Schlag – ein großes Unbehagen. Es waren unzweifelhaft zwei sehr schöne Frauen. Und im Moment waren sie beide nur Objekte.
Schließlich wählte er eine von ihnen aus.
*
Miriam Hershey saß an einem der hinteren Tische im Club Pollino in Amsterdams Innenstadt. Sie saß nicht allein an dem Tisch.
Pollino war ein Gebirgszug in Nordkalabrien, der sich besonders durch zweierlei auszeichnete: seine reiche Fauna mit Wölfen, Königsadlern, Uhus und Rehen und seine paläolithischen Höhlenmalereien. Und auf irgendeine Weise war beides in diesem proppenvollen Klub vertreten. Sowohl Wildtiere als auch Höhlenmenschen waren im Überfluss vorhanden.
Hershey musterte ihren Tischkavalier. Er war ein kräftiger Mann.
Sie lehnte sich vor und fragte: »Stimmt das?«
»Was?«
»Dass du, du weißt schon, ziemlich gut bestückt bist?«
»Mensch!«, platzte Marek Kowalewski heraus und errötete.
Miriam Hershey grinste ihn an und ließ den Blick weiter zum Bartresen schweifen. Dort saß Donatella Bruno in einem schicken kurzen Sommerkleid und sah ausgesprochen schön aus, wenngleich auch sehr einsam.
Die Einsamkeit war indes selbst gewählt. An Angeboten mangelte es ihr nicht, vielmehr musste sie durchschnittliche Bewerber verscheuchen, die dadurch sogleich in ihrer frauenfeindlichen Überzeugung bestärkt wurden.
Der Club Pollino war ein Ort, in den Donatella Bruno normalerweise keine zehn Pferde gebracht hätten. Ein wahrer Fleischmarkt. Ihr waren
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