Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
beide.«
Paul und Kerstin sahen einander an und fühlten sich in diesem Moment auch so. Ein tolles Paar.
Nachdem endlich auch Dessert und Kaffee überstanden waren, erhob sich Marianne Barrière abrupt.
»Jetzt würde ich Ihnen gerne etwas zeigen.«
Die anderen Gäste an ihrem Tisch rüsteten sich noch nicht zum Aufbruch. Kerstin Holm hingegen verabschiedete sich rasch von Maltas Polizeichef Hubert Carabott, der sie verwundert ansah und sich offensichtlich fragte, wer diese Dame neben ihm war.
»Es ist nur ein paar Räume weiter«, sagte Barrière und zog die beiden durch die Gänge hinter sich her, durch die das Personal wie Fliegen über einem Kadaver schwirrte. Sie kamen in einen abgelegenen Raum mit weißen Wänden, an denen Unmengen von Porträts hingen. Das Mobiliar bestand hauptsächlich aus einem Gegenstand – einem alten Schreibtisch.
»Nach dem Mittelalter und der künstlerischen Blütezeit der Renaissance folgte das Goldene Zeitalter in den Niederlanden«, erklärte Marianne Barrière. »Anfang des 17. Jahrhunderts zog Pieter Corneliszoon Hooft ins Muiderslot ein, der wichtigste niederländische Dichter dieser Zeit. Er war Humanist und Agnostiker und weigerte sich, bei den Auseinandersetzungen zwischen den Katholiken und den Protestanten Partei zu ergreifen. Man kann P. C. Hooft nicht unterstellen, dass er ein Demokrat gewesen wäre – er lebte zu einer Zeit, als die gesellschaftlichen Klassen so getrennt voneinander existierten wie Tierarten –, aber er hatte einen großen Kreis der führenden Künstler und Intellektuellen dieses Goldenen Zeitalters um sich geschart. Sie nannten sich Muiderkring, also Muiderkreis, und sie schufen sozusagen das Fundament der modernen Niederlande.«
Hjelm und Holm sahen sich in dem Raum um, und sie glaubten, einen kreativen Geist zu spüren, der von den Wänden abstrahlte. Hier waren einst wichtige Entscheidungen gefällt worden, so viel stand fest.
Die EU-Kommissarin machte sich auf den Rückweg. Im Flur sagte sie: »Auf dieselbe Weise könnten wir auch die europäische Festung erobern, die im heutigen Mittelalter gefangen ist. Das ist machbar.«
Statt zurück in den Wapenzaal zu gehen, nahmen sie die Treppe hinunter. Auf einem Absatz drehte sich Barrière um und richtete ihre grünen Augen auf das Paar.
»Wo wohnen Sie?«
»Ambassade Hotel«, antwortete Kerstin Holm.
»Herengracht«, ergänzte Paul Hjelm.
»Wunderbar, das liegt auf dem Weg zu meinem Hotel«, sagte Marianne Barrière. »Oder wollen Sie zurück zu den Feierlichkeiten und zu Maltas Polizeichef Hubert Carabott?«
»Wie um alles in der Welt haben Sie sich seinen Namen merken können?«, rief Holm erstaunt aus.
»Ich behalte gerne den Überblick«, entgegnete Barrière trocken.
Als sie in den Schlosshof kamen, empfing sie unerwartet Dunkelheit, die Sterne leuchteten ganz weit oben am Himmelszelt. Der Geruch von nordeuropäischer Sommernacht schlug ihnen entgegen. Gerade als diese hörbare Stille sie umschlingen wollte, lösten sich Schatten aus dem nächtlichem Gebüsch. Paul Hjelms Reptiliengehirn reagierte instinktiv, und er nahm sofort eine Verteidigungsposition ein. Da erreichten die Klänge der Einhandflöten und Naturtrompeten sein Gehör. Und als der Dudelsack mit einstieg, musste er unwillkürlich losprusten. Die Musikanten sprangen um sie herum wie aufgeregte Hühner, Marianne Barrière zückte einen Fünfzigeuroschein. Den gab sie dem Trommler und sagte über die Schulter an Hjelm und Holm gewandt: »Es ist durchaus möglich, dass dieser Schein ihre einzige Gage ist.«
Hjelm zögerte kurz, dann holte er sein Portemonnaie hervor und gab dem Trommler ebenfalls einen braunen Schein. Der Mann geriet aus dem Takt vor Freude. Oder aber unterdrückter Wut.
Der Fahrer der Kommissarin saß hinter dem Steuer und schlief. So, wie er da auf dem Fahrersitz hing, wirkte es beinahe, als hätte er aus lauter Langeweile die Abgase eingeatmet und wäre in aller Stille entschlafen. Still war er allerdings nicht, als er aufwachte. Eine Flut von Entschuldigungen schoss aus ihm heraus, die Marianne Barrière mit einer einzigen Handbewegung beiseiteschob. Sie ließ sich auf dem bequemen Rücksitz nieder und winkte Holm und Hjelm zu sich.
»Ich schlage noch einen kleinen Drink vor, ehe Sie sich in Ihr Nest der beschaulichen, heteronormativen Zweisamkeit zurückziehen.«
Paul und Kerstin wechselten kurz einen Blick, und Kerstin antwortete: »Sehr gerne. Haben Sie einen Vorschlag?«
»Wir meiden
Weitere Kostenlose Bücher