Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Hershey und Laima Balodis das Café Tulp in der Lauriergracht erreicht hatten. Sie hatten ihren persönlichen Rekord für die Strecke Amsterdam–Den Haag gebrochen und stellten erleichtert fest, dass der Fensterplatz, von dem man fast ungehindert die Eingangstür beobachten konnte, noch frei war. Balodis ging an die Theke, um Kaffee zu bestellen, während Hershey nach ihrem Handy griff. Als Balodis mit zwei dampfenden Bechern zurückkam, hatte Hershey ihr Gespräch bereits beendet und erklärte: »Wir sollen auf das Signal von Sifakis warten.«
»Große Überraschung!«, sagte Balodis und legte ein Smartphone mit Kopfhörern auf den Tisch. Sie steckten sich je einen Hörer ins Ohr, und dann richtete Balodis das Telefon in die hintere Ecke des überraschend großen Cafés, wo etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt ein Paar saß – er dunkelhaarig, sie blond. Die beiden waren in ein leises Gespräch vertieft, das entspannt und ernsthaft wirkte. Sie hörten die Frauenstimme, die Englisch mit skandinavischem Akzent sprach: »Ich will deinen großen geilen Schwanz in mir spüren.«
Hershey und Balodis wechselten Blicke und hoben die Augenbrauen.
»Erinnert mich an Marek«, sagte Balodis.
»Was?«, rief Hershey. »Hast du etwa was mit Kowalewski gehabt? Ausgerechnet mit dem?«
»Natürlich nicht. Ich habe ihn nur in einem Schrank für Schwimmwesten auf einem Boot im Mittelmeer zu spüren bekommen. Vergiss, was ich gesagt habe.«
»Vergessen? Meinst du das ernst?«
Aus Gründen der Diskretion drehte Balodis das Handy ein Stück weiter Richtung Theke, an der die Kellnerin stand und telefonierte. Obwohl sie ihren Mund mit der linken Hand verdeckte, konnten die Polizistinnen ihr Kichern sehr deutlich hören. Auch wenn das Holländisch der beiden äußerst mittelmäßig war, verstanden sie ein paar Vokabeln: neuken, kutje, snikkel.
Balodis legte das Handy auf den Tisch, zog sich ihren Kopfhörer aus dem Ohr und sagte: »Gute Idee, das Distanzmikrofon wie ein Handy aussehen zu lassen. Man darf die Dinger nur nicht verwechseln.«
»Womit kann man sonst überall herumfuchteln, ohne aufzufallen?«, meinte Hershey. »Aber es muss ganz offensichtlich mit einer gewissen Vorsicht eingesetzt werden.«
»Apropos spüren«, sagte Balodis in neutralem Ton. »Wie geht es mit Nicholas?«
»Wir haben einen Beschattungsauftrag«, antwortete Hershey ebenfalls mit neutraler Stimme. »Ich habe nicht vor, darüber zu reden.«
Sie brachen in Gelächter aus, da klingelte Hersheys Handy.
In diesem Augenblick hob Jutta Beyer den Blick vom Bildschirm mit den Zeichnungen und sah zu Arto Söderstedt hinüber, der sich gegen eine Klappleiter lehnte und damit beschäftigt war, eine Tasche mit Ausrüstung zu packen. Er ließ ein iPad, eine Minikamera mit Kabeln, eine Bohrmaschine, einen Tischstaubsauger, zwei Sets Minischraubenzieher sowie eine zusätzliche Pistole darin verschwinden.
»Von langer Hand geplantes Vorhaben ...«, sagte sie.
»Wie bitte?«, fragte Arto, ohne den Blick zu heben.
»Warum hast du das so gesagt?«, wollte Beyer wissen. »Wer hat das geplant?«
»Navarro«, sagte Söderstedt und erwiderte schließlich ihren Blick. »Seit er wieder da ist, wirkt er so überdreht.«
»Überdreht?«
»Ja, wie soll ich das ausdrücken, ein wenig übereifrig. Wie ein Fußballspieler, der eingewechselt wird und gleich die Rote Karte bekommt oder ein Eigentor schießt.«
»Du meinst, er ist nicht in seiner Mitte?«
»Nun, das ist eine viel nettere Art und Weise, das auszudrücken«, erwiderte Söderstedt. »Er hatte es in den vergangenen Monaten ja auch nicht leicht.«
»Aber gibt es ein ernst zu nehmendes Risiko für eine professionelle Fehleinschätzung?«
»Wohl kaum. Er koordiniert alles mit Angelos und der mit Paul. So füllen sie eventuelle Lücken.«
Jutta Beyer nickte, aber Söderstedt sah die tiefe Furche in ihrem sonst so eigenartig faltenfreien Gesicht.
Da klingelte das Handy. Während Beyer das Gespräch annahm, sagte Söderstedt nicht ganz frei von Ironie: »Auf mein Zeichen, keine Sekunde früher.«
»Grünes Licht«, erklärte Felipe Navarro am anderen Ende der Leitung und drehte das Teleskop so weit wie möglich nach links. Nur etwa zehn Sekunden nachdem die drei Männer am Café Tulp vorbeigegangen waren, verließen zwei Frauen in Jeans das Café und folgten ihnen den Kanal entlang. Navarro kehrte zurück an den Tisch, sah, dass es fünf Minuten vor halb zwei war, und rief mit zwei Klicks auf der Tastatur die
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