Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Kamera im Treppenhaus auf den Bildschirm. Er beobachtete, wie Jutta Beyer mit dem Schlüsselbund in der Hand die Treppe hochkam. Arto Söderstedt folgte ihr mit einer Klappleiter im Arm und einer Tasche über der Schulter. Beyer hatte die Tür in Sekunden geöffnet, Navarro wechselte die Kameraansicht und legte auf Marinescus Headset die Distanzmikrofone von Hershey und Balodis. Da registrierte er einen alles andere als angenehmen Geruch. Er blickte über die Schulter und erklärte: »Das wäre jetzt eine gute Gelegenheit, duschen zu gehen, Adrian.«
Adrian Marinescu hatte sich das Headset abgenommen und rieb sich den kahlen Schädel. »Ich würde nichts lieber tun«, sagte er, »aber ist das auch in Ordnung? Die Distanzmikros könnten doch jederzeit angehen ...«
»Die Kerle gehen jetzt erst einmal ein Stück durch die Stadt«, sagte Navarro. »Sie haben seit mehr als einer Woche das Haus nicht verlassen, und Amsterdam ist zu dieser Jahreszeit besonders schön. Ich rufe dich, wenn es losgeht.«
Marinescu nickte dankbar und reichte Navarro sein Headset, der es mit spitzen Fingern in Empfang nahm und schnell beiseitelegte.
Meine Güte, sie haben seit mehr als einer Woche das Haus nicht verlassen, dachte Felipe Navarro und schnaufte verächtlich. Das war doch gar nichts. Er selbst hatte vier Wochen lang das Haus nicht verlassen. Und zwar gar nicht. Sein Gehirn drohte überzukochen. Aber er hatte die Wahl gehabt. Es hätte nicht so kommen müssen.
Doch das war Vergangenheit. Jetzt war jetzt.
Er rief die beiden Kameraansichten des Wohnzimmers in der gegenüberliegenden Wohnung auf. Zuerst klickte er die unangenehme Kamera in der Toilette weg, dann die nicht ganz so unangenehme im Schlafzimmer und schließlich die weitestgehend ungenutzte, die etwa die Hälfte der Küche erfasste. Alle Räume waren leer. Anders verhielt es sich in dem großen Wohnzimmer der geräumigen Zweizimmerwohnung, das mittlerweile nicht nur als Büro des Hauptquartiers der organisierten europäischen Bettelmafia fungierte, sondern wahrscheinlich noch weit mehr als das war. Felipe Navarro war fest davon überzeugt, dass der Inhalt der handgeschriebenen Nachrichten, die der Bande auf unterschiedlichste Weise zugespielt wurden – meistens via Boten –, die Ermittlungen entscheidend voranbringen würden. Und dafür sorgten hoffentlich Beyer und Söderstedt in diesem Augenblick. Söderstedt studierte eine Zeichnung auf seinem iPad und hielt mit der anderen Hand die Leiter fest, auf der Beyer stand. Sie waren so nah am Fenster, dass Navarro sie von seinem Standort aus ohne Teleskop sehen konnte. Plötzlich tauchte Jutta Beyers Gesicht riesengroß auf dem Bildschirm auf. Auf der weitwinkligen Aufnahme beobachtete Navarro ihre kleine rosa Zungenspitze, die sich in den einen Mundwinkel schob. Ihre Hände verschwanden links und rechts neben der Kamera, in der Rechten hielt sie einen Mikroschraubenzieher. Langsam veränderte sich der Winkel der Kamera, bis er mit dem Punkt übereinstimmte, an dem der Bandenchef am Schreibtisch seine Nachrichten las. Das war der einfache Teil der Operation gewesen. Jetzt galt es, die neue Kamera anzubringen. Das war der schwerere Teil.
Da hörte Felipe Navarro ein Rauschen in Marinescus Kopfhörern. Adrian stand noch unter der Dusche, daher zog er sich das Headset angeekelt über den Kopf. Aber er hörte nicht Rumänisch, sondern Miriam Hersheys britisches Englisch.
»Sie trennen sich.«
Navarro öffnete auf einem der Bildschirme einen Stadtplan von Amsterdam. Darauf sah er zwei blinkende Punkte, einen grünen und einen roten. Hershey war rot, Balodis war grün, und sie befanden sich beide an der Stelle, wo die Reestraat zur Hartenstraat wurde, auf der Brücke über die Keizersgracht. Als sie die Brücke hinter sich gelassen hatten, bog jedoch der rote Punkt nach links auf die Keizersgracht, während der grüne seinen Weg auf der Hartenstraat fortsetzte.
»Erbitte Situationsbeschreibung«, sagte Navarro.
»Einer der Leibwächter ist allein in die Keizersgracht abgebogen«, sagte Hershey, ihre Stimme wurde durch das Distanzmikrofon verzerrt. »Ich folge ihm. Die beiden anderen gehen in Richtung Innenstadt.«
»In Ordnung«, sagte Navarro. »Ich sehe euch. Kannst du mich auch hören, Laima?«
»Ja«, antwortete Balodis, ebenfalls verzerrt. »Ich hänge mich an die beiden ran.«
Entschlossen drängte Navarro den Gedanken beiseite, dass sich die beiden Rumänen ebenfalls trennen könnten, und überlegte
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