Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Das würde eine große Herausforderung werden.
Sie betrat die Kirche, die Rembrandt oft besucht hatte – es war das einzige Gebäude in der Stadt, das tatsächlich so aussah, wie es auch Rembrandt gesehen und gemalt hatte –, und war für einen Augenblick von der hölzernen Dachkonstruktion überwältigt. Die größte mittelalterliche Holzdecke in Europa, das hatte sie vor Kurzem irgendwo gelesen. Aber sie hatte es bisher noch nicht mit eigenen Augen gesehen.
Aber ihre Aufgabe war es, das rumänische Duo zu verfolgen. Sie waren ein gutes Stück vor ihr, auf dem Weg zum Altar, dazwischen drängten sich viele Besucher. Balodis holte ihr Handy aus der Jacke. Das falsche Handy. Im selben Moment, als der Bandenchef sich zu seinem Leibwächter umwandte, richtete sie das Handy aus. Exakt. Sie empfing ein paar Silben, die sie nicht verstand. Allerdings hatte sie kurz darauf die etwas atemlose Simultanübersetzung von Marinescu im Ohr.
»Fünf, acht. Beeil dich. Drei Minuten.«
Das war eine Konstellation von Wörtern, die Laima Balodis sofort ihre Gehirnzellen auf Hochtouren schalten ließ. Aber sie konnte die Mitteilung nicht entschlüsseln. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als die beiden zu beobachten. Sie setzte sich in eine der Kirchenbänke des schmucklosen protestantischen Kirchenschiffes der Oude Kerk und beobachtete den Leibwächter, wie er sich unter eine Bankreihe ein Stück vor ihr beugte. Er fingerte unter der Sitzfläche herum, und wenn sie sich nicht irrte, war es Sitz Nummer fünf, in Reihe acht. Aber was bedeutete dann drei Minuten?
Der Leibwächter kehrte zum Bandenchef zurück und übergab ihm einen wattierten Umschlag, aus dem er ein Handy hervorholte. Während Balodis sich wie im Gebet vorbeugte, richtete sie ihr sonderbares Handy erneut aus und flüsterte: »Handy.«
Felipe Navarro begann wild auf der Tastatur herumzuhacken.
»Verdammt, ein Handy! Er hat seines in der Wohnung gelassen, wir haben es geortet, das liegt in der Schreibtischschublade. Was ist das jetzt für ein Handy?«
Adrian Marinescu saß neben ihm, bekleidet mit Headset und Bademantel. Er zog die Schultern hoch, als die Verbindung nach Den Haag zustande kam. Auf dem Monitor war Sifakis zu sehen, und im Hintergrund konnten sie die Umrisse von Bouhaddi, Bruno und Kowalewski erkennen.
»Haben wir eine Chance, sie zu orten?«, rief Navarro.
»Jetzt nicht«, antwortete Kowalewski. »Später vielleicht.«
»Das Beste, was wir tun können, ist die Klappe zu halten, um kein Wort zu verpassen«, mahnte Sifakis.
In dem Augenblick hob Marinescu den Zeigefinger: »Er ruft jemanden an.«
Mittlerweile hatte sich die Schlange vor dem Anne-Frank-Haus langsam ins Gebäude gewunden. Die Besucher wurden offensichtlich nur in kleineren Gruppen eingelassen. Miriam Hershey bezahlte ihre Eintrittskarte, ohne ihr Observationsziel aus den Augen zu lassen. Allerdings war der Mann leicht zu beschatten, mit seinen fast zwei Metern Größe und seinem viel zu dicken Jackett. Sie durchquerten die Ausstellung und das Café im vorderen Teil des Hauses, in dem Otto Frank seinen Kräuter- und Gewürzhandel geführt hatte, drängten sich durch die Menge der Besucher und erreichten schließlich eine extrem schmale Treppe. Der Leibwächter stieg die Treppe hinauf. Hershey schob sich hinterher. Das war alles äußerst sonderbar.
Miriam Hershey befand sich in dem Haus, das ihr in ihrer Kindheit am wichtigsten gewesen war. Sie erinnerte sich noch genau an ihre Inbrunst, ihre Erkenntnisse und an ihre Gefühle, als sie Das Tagebuch der Anne Frank als Teenager gelesen hatte. Wie es Anne gelang, im Alter von dreizehn bis fünfzehn so aufrichtig zu schreiben, indem sie eine Brieffreundin erfand: Kitty, an die sie sich in ihrem Tagebuch wandte. Wie die Familie beschloss, sich in dem von außen verborgenen Hinterhaus zu verstecken. Wo die Geheimtür hinter dem Bücherregal der einzige Zugang in eine beengte Unterkunft war, die keiner von ihnen zwei lange Jahre mehr verlassen sollte.
Und plötzlich stand sie selbst davor. Vor dem Bücherregal. Dem legendären Bücherregal.
Das Regal war fast ganz zur Seite geschoben worden, wahrscheinlich, damit sich die Besucher einen Eindruck machen konnten, wie es damals ausgesehen hatte. Denn hinter dem Regal befand sich jener Durchgang zu dem berühmten Hinterhaus, und der groß gewachsene Leibwächter bückte sich gerade, um in dem Durchgang zu verschwinden. Hershey drängelte sich zwischen den Besuchern hindurch und
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