Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
aufhalten würde es auch nichts.
Dieses Gefühl kannte er schon so lange, dass es ihm sehr vertraut war. Aber mehr als ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, war es allerdings auch nicht. Nicht bevor alles etwas konkreter wurde. Aber auch das Konkrete war jetzt nicht besonders konkret. Als gäbe es keine absolute Grenze zwischen Einbildung und Wirklichkeit. Als würden diese beiden ineinander übergehen können.
Aber das stimmte nicht mit den empirischen Erkenntnissen überein. Auf der einen Seite waren die Fakten, auf der anderen die Einbildung – so musste es sein –, doch Fakten allein genügten nicht. Aber sie könnten eventuell eine Lebensversicherung sein.
Er hatte es keinem seiner Mitarbeiter gegenüber erwähnt. Und keiner von ihnen hatte ihm gegenüber jemals eine Andeutung gemacht, etwas Vergleichbares erlebt zu haben. Er stand allein damit. Das Telefonat deutete darauf hin, dass seine Wahrnehmung keine Einbildung gewesen war. Oder ließ sie sich von diesem Gefühl täuschen? Hatte er gestern auf der riesigen Baustelle in Hornstull wirklich diesen Mann gesehen?
Soeben öffnete sich die Liljeholmsbron. Sein Blick wanderte wie immer automatisch dorthin. Der Verkehr staute sich auf beiden Seiten. Die Brückenhälften öffneten sich wie zwei gigantische Kiefer. Wie ein Haifischmaul. Dann glitt ein wenig beeindruckendes Segelboot mit einem viel zu hohen Mast hindurch. Das Maul schloss sich wieder. Er sah dem Schiff hinterher, das langsam durch die Bucht fuhr.
Genau, dachte er. So würde es sein, wenn er zur Polizei ginge. Die Polizisten würden ihn auslachen. Denn den eigentlichen Grund konnte er ihnen nicht preisgeben. Den Grund, warum sein kleines Schiff einen so hohen Mast hatte.
Genug der Metaphern. Etwas konkreter: Er brauchte ein neues Telefon und eine neue Handynummer. Und er musste das alte in Sicherheit bringen. Wie ärgerlich, dass die Swedbank in der Hornsgatan kein freies Schließfach hatte. Also blieb ihm nur die U-Bahn zur T-Centralen. Die Frage war, ob der Weg dorthin dank der Bauarbeiten noch derselbe war wie gestern. Im schlimmsten Fall musste er sich ein Taxi zum Sergels torg 2 nehmen. Die Frage war, wo die Taxen standen in diesen äußerst wilden Tagen der Stadtteilerneuerung. Oder – eine weitere Möglichkeit – er könnte sich ein Taxi rufen.
Allerdings würde er es dann nicht erfahren, ob er wirklich ihn in Hornstull gesehen hatte. Vermutlich würde er es nicht wagen, etwas in dem morgendlichen Gedränge zu unternehmen. Es war besser, sich Gewissheit zu verschaffen, als in der Ungewissheit zu leben.
Er sah auf sein Smartphone. Eigentlich war es viel zu neu, um jetzt schon pensioniert zu werden.
Vorzeitiger Ruhestand.
Nach wie vor war er überrascht, dass er mitten in der Nacht so geistesgegenwärtig gewesen war, um den richtigen Knopf zu finden – als hätte sein Unterbewusstsein schon längst eine Strategie entworfen. Die Betätigung der Aufnahmetaste war gleichzeitig der Todesstoß für das Telefon als Telefon gewesen.
Ab jetzt würde es andere Funktionen zugewiesen bekommen. Lebensversichernde Funktionen.
In zweifacher Hinsicht. Zum einen als Speichergerät für das Gespräch, zum anderen als Sicherung seiner Dokumente.
Zum Glück befand sich sein inoffizielles Handy im Büro. Er musste nichts weiter tun, als dorthin zu fahren.
Aber er zögerte es hinaus.
Die Prozesse waren in Gang gesetzt worden, jetzt konnten sie nichts anderes mehr tun als auf die Ergebnisse zu warten. Wenn alle Testreihen positiv verlaufen waren, würde er sie nur noch unterschreiben müssen. Alles andere war erledigt. Dann wäre der Tag gekommen: Jeder von ihnen würde mit seinem Drittel der Formel der Welt eine neue Richtung weisen können.
Aber da gab es dieses kranke Gespür für das Gleichgewicht. Sobald man etwas Gutes tat, schlug es einem entgegen. Sobald man die Witterung von etwas Gutem aufnahm, entfesselten sich die bösen Kräfte in der Unterwelt.
Er wandte sich von der zunehmend unerträglichen Schönheit vor seinem Fenster ab und machte sich auf den Weg. Es gab kein Zurück mehr.
Das Telefonat mitten in der Nacht.
Und er lief da draußen herum.
Oder auch nicht. Wahrscheinlich nicht, und der Anrufer letzte Nacht war nur irgendein Idiot gewesen.
Es war ein wunderschöner Donnerstag in dem Stadtteil, der früher einmal Knivsöder genannt worden war. Die Sonne schien, der Himmel war hellblau und klar, nicht der geringste Windhauch versetzte die Wipfel der Bäume in dem
Weitere Kostenlose Bücher