Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
sah auf die Uhr. Ihr blieben noch vierzig Minuten Zeit bis zu dem gemeinsamen Lunch mit den Lobbyisten der Verpackungsindustrie. Sie drückte auf einen Knopf, und eine jüngere, energiegeladene Frau kam hereingerauscht.
Der Anblick ihrer Pressesprecherin Amandine verlieh Marianne Barrière in der Regel einen Energieschub. Heute erlebte sie jedoch die Ausnahme, die womöglich die Regel erst bestätigte. Sie fühlte sich einfach nur alt und grau, als sie die nahezu Funken sprühende Erscheinung erblickte.
»Ich mache einen kurzen Spaziergang, Amandine.«
»Ihr Lunch ist in achtunddreißig Minuten«, erwiderte Amandine knapp. »Soll ich Sie begleiten?«
»Ich will einen Moment allein sein.«
Marianne Barrière verließ das asymmetrisch geschnittene Gebäude der Europäischen Kommission und lief in Richtung Parc du Cinquantenaire, der auf Niederländisch »Jubelpark« genannt wurde. Von dort ging sie weiter auf den mächtigen Triumphbogen aus belgischem Granit zu, ein Anblick, der in ihr immer wieder eine große Ruhe erzeugte.
Ungefähr auf halber Strecke durch den Park hörte sie plötzlich eine Männerstimme hinter sich, die sagte: »Plan G.«
Abrupt drehte sie sich um, es dauerte einen Moment, bis sie ihn wiedererkannte.
»Paul Hjelm«, sagte sie schließlich, »Europol auf freiem Fuß.«
»Lassen Sie uns ein Stück zusammen gehen«, sagte er. »Das war ein sehr netter Abend neulich, vielen Dank.«
»Gleichfalls«, erwiderte Marianne Barrière.
»Sie sehen irgendwie bedrückt aus«, stellte Hjelm fest. »Hat es etwas mit dem Foto zu tun, das Sie in der Limousine geschickt bekommen haben?«
Sie lachte kurz auf.
»Wenn das schon alles wäre ...«
»Das Leben ist ein einziger Kampf. Was ist Plan G?«
»Ich weiß es nicht. Sind Sie darauf gestoßen?«
»Ja, im Zusammenhang mit der Bettlermafia in Amsterdam. Aber nur als Begriff, mehr nicht. Was meinen Sie damit, dass Sie es nicht wissen?«
»Für mich ist es auch nur ein Begriff. Der tauchte plötzlich auf, als es mir gelang, einen knallharten Christdemokraten im EU-Parlament zu überreden, meinem Gesetzesentwurf zuzustimmen. Während er unseren unheiligen Vertrag unterschrieb, sagte er: ›Hüten Sie sich nur vor Plan G.‹ Das war alles. Und das ist ein Mann, der keine Scherze macht.«
»Früher war ich Verschwörungstheorien gegenüber äußerst skeptisch«, erklärte Paul Hjelm. »Aber heute, was weiß man schon. Wer ist er?«
»Die ganze Angelegenheit ist streng geheim. Warum wollen Sie das wissen?«
»Sie wollten doch, dass ich weitergrüble«, sagte Hjelm.
Barrière lachte laut auf.
»Was haben Sie herausgefunden, Paul?«
»Dass jemand versucht, Sie unter Druck zu setzen.«
»Fahren Sie fort.«
»Als dann der Begriff Plan G plötzlich wiederauftauchte, habe ich angefangen nachzudenken. Sie hatten diese MMS im Wagen in Amsterdam bekommen. Ich versuchte mich genau an die Situation zu erinnern. Sie hielten das Handy von mir weggedreht. Aber dennoch habe ich einen ganz kurzen Blick darauf erhaschen können, weil es sich im Fenster spiegelte. Es war ein Foto. Und ich glaube, es war pornografisch.«
»Schwarz-weiß, alt, stimmt’s Paul?«
»Ja, und das roch für mich nach Erpressung, meilenweit gegen den Wind. Dann tauchte dieser Plan G auf. Das war das Einzige, was Sie mich bei dem Essen im Muiderslot haben wissen lassen. Nur einen einzigen Begriff. Wahrscheinlich ist Ihr Gesetzesentwurf bedroht, worum es dabei auch immer gehen mag. Bedrohung von mehreren Seiten?«
»Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Detektiv zu werden, Paul?«
»Es ist eine Unsitte, die Leute immer mit ihrem Vornamen anzusprechen.«
Marianne Barrière nickte wie zu sich selbst und zeigte dann auf eine nahe gelegene Parkbank. Sie schlenderten hinüber und setzten sich.
»Ich nehme an, Sie sind inoffiziell hier«, sagte sie.
»Ja.«
»Dann können Sie nicht so mit den Muskeln spielen.«
»Ich bin ohnehin davon ausgegangen, dass Sie den inoffiziellen Weg bevorzugen. Außerdem ist es durchaus denkbar, dass ich mehr Muskeln habe, als man auf den ersten Blick vermutet.«
»Ich habe meinen PR-Mann darauf angesetzt.«
»Wie gut. Dann brauchen wir die Polizei nicht mehr.«
Marianne Barrière lachte erneut und fuhr dann fort: »Vermutlich existieren noch ein paar Aufnahmen aus einer fernen Vergangenheit. Ich wusste, dass Fotos gemacht wurden, aber ich hätte es nie für möglich gehalten, dass jemand eine Verbindung zu mir würde herstellen können. Man musste
Weitere Kostenlose Bücher