Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
fragte er in das altersschwache Gerät.
»Ich dachte, du wolltest ein paarmal tief Luft holen. Sehr clever das mit den EU-Formularen.«
»Wir führen ein Leben und eine Ehe, in der es keine Lügen gibt«, erklärte Nyberg und wippte mit den Zehen. »Ist damit jetzt Schluss?«
»Das bestimmst du selbst. Ich habe dir nur ein Angebot gemacht.«
»Wenn ich Faust bin, dann bist du also Mephisto?«
»Aber nur insofern, als Faust die Welt ist, in der nichts geschieht, und Mephisto die Welt, in der alles geschieht. Ich kann mich gut in die ereignislose Welt hineinversetzen, ich sehne mich oft danach. Für mich liegt sie in den Stockholmer Schären, im einsameren nördlichen Teil. Heaven is a place where nothing ever happens .«
»Shakespeare?«
»Talking Heads.«
»Was willst du?«
»Ich habe dich angelogen. Das hier ist gar kein Angebot. Es ist eine Bitte. Ein Flehen. Und ich bewege mich auf dünnem Eis.«
»Als hohes Tier in der EU bist du doch auf sicherem Boden. Dein Gehalt muss schwindelerregend hoch sein.«
»Gemessen an dem eines Schriftstellers ja. Aber das Eis ist genauso dünn. Vertraust du mir?«
»Ich vertraue dem Paul, der du einmal warst. In den zehn Jahren, die wir zusammengearbeitet haben, hast du dich zum besten Polizisten entwickelt, den ich kenne. Aber bist du auch heute noch dieselbe Person?«
»Nicht dieselbe Person. Aber derselbe Polizist. Vertraust du dem Polizisten?«
Gunnar Nyberg schwieg. Hauptsächlich, damit es nachdenklich wirkte. Aber er musste eigentlich nicht nachdenken. Nach einer angemessenen Zeit antwortete er: »Ja.«
»Meine Geschichte ist ziemlich lang. Und sie besteht aus drei Teilen. Hast du Zeit und Lust, sie dir anzuhören?«
»Solange du das Telefonat bezahlst.«
»Das ist schon veranlasst. Die drei Teile sind: mein eigentlicher Job bei Europol, ein großer aktueller Fall und mein inoffizieller Fall.«
»Gut.« Nyberg seufzte und legte sich rücklings in den Sand.
Als Ludmilla sah, wie er sich in den Sand fallen ließ und in den Himmel starrte, wunderte sie sich schon ein wenig über diese EU-Formulare. Die darauffolgende Zeit hatte eine eigenartige Struktur. Zuerst verspürte sie eine zunehmende Unruhe, die eine Klimax erreichte und dann wieder in sich zusammensank, um am Ende in eine eigenartige Ruhe überzugehen. Ein wortloses Erkennen. Sie sah zu, wie die Sonne sich mit unbekümmerter Langsamkeit über den hellblauen Himmel schob, und schlief schließlich ein. Als hätte sie jemand in den Schlaf gewiegt, in einer Aura aus Vertrauen. Ein Gespräch, das so lange dauerte, konnte ganz einfach keine schlechten Nachrichten bedeuten.
Als Gunnar Nyberg sich langsam wieder aufsetzte, dankte er Ludmilla insgeheim dafür, dass sie ihn genötigt hatte, Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor fünfzig zu benutzen. Eine Höhe, die sonst nur sein alter Kollege Arto Söderstedt, der Mann ohne Pigmente, benutzte.
»So sieht es aus!«, sagte Paul Hjelm und klang heiser. »Hast du alles verstanden?«
»Das ist ein ganz schöner Hammer. Ich hoffe, du hast Störsender und den ganzen Kram in deinem Handy.«
»Wenn du wüsstest«, erwiderte Hjelm nur. »Was sagst du zu meinem Vorschlag und zu einer freiberuflichen Mitarbeit?«
»Die Goldene Morgenröte oder Chrysi Avgi , wie wir hier sagen, ist eine sehr gut bewachte Organisation. Da kann man nicht so einfach hereinspazieren und nach Fabien Fazekas fragen. Ganz zu schweigen davon, ihn dann zum Sprechen zu bringen, damit er die Abzüge und Negative herausrückt.«
»Hast du den Grizzlybären in dir begraben, Gunnar?«
Die Frage katapultierte Nyberg fünfzehn Jahre in die Vergangenheit. Zurück zu ihrem ersten gemeinsamen Fall als Partner. Hjelm und Nyberg hatten sich in die Tiefen der Stockholmer Unterwelt begeben, um Hinweise dafür zu finden, wer Schwedens Finanzelite eliminieren wollte. Damals hatte Hjelm zu ihm gesagt, er würde ihn an einen Grizzlybären erinnern, weil er sich von einer Sekunde auf die andere von einem gutmütigen Teddybären in einen wilden Grizzly verwandeln konnte und wieder zurück. Da hatte Nyberg zum ersten Mal in seinem Leben die Maske fallen lassen und hatte ihm von seiner Vergangenheit erzählt: als Bodybuilder und hochgradig gedopter Mr. Sweden, als gewaltbereiter Bulle auf Streife, als prügelnder Ehemann. Und Hjelm hatte ihn nicht verurteilt, er hatte fest an eine zweite Chance geglaubt.
Tat er das jetzt auch wieder? Wollte er Gunnar Nyberg erneut eine zweite Chance geben?
»Jetzt bist du
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