Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
und das Handy wegwerfen«, sagte Kerstin Holm. »Alle eventuellen Spuren werden beseitigt. Es muss etwas Radikaleres sein.«
»Mikrochip im Körper?«
»Können wir das hinbekommen?«
»Meinst du in moralischer, technischer, juristischer oder zeitlicher Hinsicht?«
»Alles auf einmal. Ist das machbar?«
»Technisch, ja. Zeitlich, vermutlich auch. Juristisch, zweifelhaft. Moralisch, was meinst du?«
»Ja, moralisch absolut vertretbar. Das ist die Gelegenheit, endlich herauszufinden, was mit diesen chinesischen Kindern passiert. Außerdem könnte es sogar Licht in die Untersuchung bezüglich der Bettlermafia bringen, das ist doch eigentlich ein schlagendes Argument.«
»Hm«, brummte Hjelm. »Und wie hast du dir das rein praktisch gesehen vorgestellt?«
»Er wird alles erzählen, was mit ihm passiert ist. Daher würde eine Injektion – auch als Impfung oder Vitaminspritze getarnt – Aufmerksamkeit und Misstrauen erwecken. Gibt es keine andere Möglichkeit, ihm einen Chip zu implantieren?«
»Das hört sich ganz nach Sifakis’ Spezialgebiet an. Sprich mit ihm darüber, während ich mir überlege, ob diese Aktion Sinn macht.«
Paul Hjelm stellte das Telefonat auf Sifakis um, allerdings als Konferenzschaltung. Er hörte ihrer Unterhaltung zu und machte sich so seine Gedanken.
Einem Zwölfjährigen einen Mikrochip zu injizieren – war das mittlerweile das Betätigungsfeld der Polizei? Gehörte das zu den modernen internationalen Sicherheitsmaßnahmen? Auf der anderen Seite – war nicht der mögliche Nutzen um ein Vielfaches größer als mögliches Leid? Das Risiko, die Integrität des Jungen zu verletzen, war vergleichsweise gering – wahrscheinlich würde er als eine Art Sklave eingesetzt werden. Außerdem ließ sich der Chip sofort ausschalten, sollte das Kind nicht in Gefahr sein. Dann würde der Chip – von dem Sifakis gerade sprach – vom Körper ausgeschieden werden.
»Widerhaken?«, rief Kerstin Holm.
»Mikrofeine Widerhaken«, sagte Angelos Sifakis. »Sie verhaken sich im Magen, nachdem man sie mit einer speziellen Flüssigkeit zu sich genommen hat. Wenn der Chip ausgeschaltet wird, fallen die Widerhaken ab und werden ausgeschieden.«
»Man trinkt den Chip?«
»Ja.«
Hjelm unterbrach das Gespräch: »Ihr müsst einen Weg finden, dem Jungen etwas zu trinken zu geben, ohne dass er misstrauisch wird.«
»Ihr?«, wiederholte Kerstin Holm.
*
Eine knappe Stunde später saß sie Jutta Beyer gegenüber.
»Ich wusste gar nicht, dass du Auto fahren kannst«, sagte sie aufrichtig überrascht.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Beyer. »Ich bin doch Polizistin.«
»Verzeih, ich weiß auch nicht. Vielleicht weil du immer Fahrrad fährst.«
»Hier ist der Chip.«
Jutta Beyer hielt ihr ein Reagenzglas durch die heruntergekurbelte Scheibe entgegen. Kerstin Holm schob ihre Hand durchs Fenster ihres Wagens und nahm es. Sie hielt es gegen die Lampe im Wageninneren. In der klaren Flüssigkeit schwamm ein winziges Partikel.
»So sieht Elektronik heutzutage also aus«, sagte sie nachdenklich.
»Extrem elektronisch«, betonte Beyer . »Sifakis lässt ausrichten, dass das Ding dreißigtausend Euro kostet. Und er hat noch hinzugefügt: Nicht verschütten!«
»Sehr umsichtig von ihm.«
»Bist du schon im Lager gewesen?«, fragte Beyer.
»Nein«, antwortete Holm. »Aber Kommissar van der Heijden hat dem Wachmann mein Kommen angekündigt.«
»Wollen wir reingehen?«
»Wir sollten vorher noch ordentlich parken.«
*
Als Holm und Beyer schließlich vor Liang Zunrongs Zimmer standen, blieb nur noch eine Stunde Zeit, dann würde der junge Chinese – gemäß dem Muster, als wäre er vorprogrammiert – verschwinden. Die Tür zu seinem Zimmer war geschlossen.
»Wenn er etwas zu trinken dastehen hat, dann lockst du ihn auf den Flur«, flüsterte Holm.
»Und wenn er nichts dahat?«
»Dann müssen wir improvisieren.«
Jutta Beyer sah sie missmutig an, während Kerstin Holm an die zerkratzte, aber massive Tür klopfte.
Es dauerte einen Moment, aber dann wurde geöffnet, und vor ihnen stand ein zartes Kind. Der Junge blinzelte sie aus braunen Augen an. Ein wehrloser, schutzloser Blick.
Sie mussten dieses Kind retten.
In Kerstin Holm zog sich alles zusammen. Als Jutta Beyer den Jungen mit einem unglaublich einnehmenden Lächeln auf den Flur herauszog, konnte sie einen Blick in das Zimmer werfen. Es wirkte wie eine Gefängniszelle. Ein Bett, ein Nachttisch, ein Stuhl. Auf dem Nachttisch
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