Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
auf die Sprünge zu helfen. Sie fing mit reichlich eigenartigen Eselsbrücken an (Wenn sie einkaufen ging und beispielsweise Hundefutter, W ürste und Tee kaufen wollte, stellte sie sich einen Hund vor, auf dem ein Schwein reitet, das einen Teebeutel in der Pfote hält. Hm.) und beendete ihr Buch schließlich mit medizinischen Untersuchungsergebnissen. Sie konsultierte Neurologen und Biologen, unternahm V orstöße ins Reich der Meditation, des Neurofeedbacks und in alles, was es sonst noch so gab. Sie ließ ihren Kortisolspiegel überprüfen, lernte, dass A ngst zu Gedächtnislücken führen kann, dachte über ihre Ernährung nach, probierte Lebertran und Fischöle. Hatte sie in ihrer Jugend womöglich eine Schädelverletzung erlitten? Lag es womöglich an den Hormonen? A m Hippocampus? A n der Schilddrüse? Zu viel A lkohol? Zu wenig?! Konnte Bridgespielen helfen? Oder Sudoku? Und welche Rolle spielen die Synapsen bei der ganzen A ngelegenheit?
Am Ende stellte sich heraus, dass nichts davon wirklich einen Unterschied machte. Man muss sich einfach mit der Situation, wie sie ist, abfinden. Und Notizzettel schreiben. W as wirklich kein Grund ist, sich zu schämen. Ich habe schon mit zehn angefangen, mir Notizzettel zu schreiben: » Katze füttern«, » Hausaufgaben nicht vergessen«, » Baden«, » Dankbrief an Oma« und so weiter. (Ich geb’s ja nur ungern zu, aber heute habe ich vergessen, » Baden« auf meinen Zettel zu schreiben. Und als ich das Bad genommen hatte, schrieb ich es auf den Zettel und strich es mit diebischer Freude sofort wieder aus.)
Natürlich gibt es auch schlimme Fälle, die ich wirklich nicht trivialisieren will. Es gibt einen Zeitpunkt, an dem man wirklich einen A rzt aufsuchen sollte. » Wo hab ich bloß meine Brille hingelegt?« ist eine Sache, » Was ist eine Brille?« eine ganz andere. Die A utoschlüssel zu verlieren ist eins, sich nicht mehr erinnern zu können, wie man A uto fährt, eine andere. Den Namen der Enkelin zu vergessen ist nicht weiter schlimm, aber zu vergessen, sie vom Kindergarten abzuholen, schon.
Als sich neulich eine Freundin bei mir beklagte, ihr Gedächtnis lasse immer mehr nach, sie mache sich mittlerweile solche Sorgen, dass sie einen Termin gemacht habe, bei… » Wie heißt er noch gleich? Dieser Mann, zu dem man geht, wenn man krank ist?« Da wurde mir klar, dass die Gute wirklich nicht mehr so ganz auf dem Posten ist.
Aber abgesehen davon, von wirklichen Gedächtnisproblemen, meine ich, hat die V eränderung der Gedächtnismuster durchaus auch ihr Gutes. Es geht Ihnen damit nämlich nicht notwendigerweise schlechter als vorher. Tatsächlich geht es Ihnen, zumindest, wenn Sie es so sehen wie ich, sogar besser.
Zugegeben: Ich weiß morgens manchmal nicht mehr, ob ich alle meine sieben Tabletten genommen habe oder nicht (Gebührenfrei! V öllig umsonst!). Und man kann nicht behaupten, dass ich nur gelegentlich vergesse, wo ich mein A uto abgestellt habe. Ich erwäge mittlerweile, eine Spur aus Brotkrümeln vom A uto bis zum Haus zu legen, so wie Hänsel und Gretel im Märchen, damit ich das gute Stück am nächsten Tag auch garantiert wiederfinde.
Nein, was ich eigentlich sagen will, ist Folgendes: Beginnende Senilität hat auch ihre V orteile. Ganz ehrlich.
Wie schön, dass ich mich nicht mehr an die Handlung des Films erinnern konnte!
Ist es nicht wunderbar, dass man jetzt, im vorgerückten A lter, so viele überflüssige Sachen einfach vergisst? A nstatt mich durch die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zu quälen (und neun von zehn Büchern entweder aus Frustration oder aus schierer, kieferausrenkender Langeweile noch vor dem Ende wegzuwerfen), widme ich mich nun lieber wieder den Klassikern. Neulich habe ich zum Beispiel wieder einmal A nna Karenina ausgegraben und war total hingerissen. Kürzlich stieß ich auf eine Neuausgabe eines Titels von Patrick Hamilton, meinem Lieblingsautor. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich das Buch noch nicht kannte, verschlang es begeistert und stellte es hinterher in mein Hamilton-Regal (ja, ich habe ein extra Regal für ihn)– wo ich prompt feststellte, dass ich das Buch schon besitze und mit Sicherheit auch bereits gelesen habe. Ich weiß außerdem, dass ich den Bette-Davis-Film A ll A bout Eve – A lles über Eva vor dreißig Jahren, als noch viele Schwarzweißfilme im Fernsehen kamen, garantiert schon gesehen hatte. Ich konnte mich an ein paar Szenen erinnern, aber nicht mehr an die ganze Handlung oder
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