Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
und jeder zusätzliche Tag ist ein Bonus. Proust hat geschrieben: » Wir alle sind Tote im W artestand.«
Und gibt es nicht Momente, in denen selbst der Lebensfrohste von uns sagt: »Jetzt reicht’s aber«? Ich bin fünfundsechzig, und die V orstellung, dass ich mich noch weitere zehn W eihnachten lang zerfleische– kommen die Kinder jetzt zu mir, gehe ich zu ihnen, oder wollen sie W eihnachten lieber bei ihren Freunden verbringen?–, erschreckt mich. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es nicht gut für unsere Kinder ist, wenn wir zu lange auf Erden herumhängen. Ich jedenfalls bin erst dann einigermaßen erwachsen geworden, als meine beiden Eltern tot waren.
Platz machen
Ich weiß, wenn auch der zweite Elternteil stirbt, kann man sich plötzlich ganz schön verloren fühlen. A uf einen Schlag ist man eine richtige W aise. A ndererseits ist man aber auch endlich frei. Meine Eltern waren wie zwei gewaltige Rhododendronbüsche, in deren Schatten ich immer stand. A ls sie starben, vermisste ich sie natürlich– aber ich konnte endlich den freien Himmel sehen und die warme Sonne spüren. Endlich konnte ich wachsen. Und ich bin meinen Eltern heute noch dankbar, dass sie zu einem Zeitpunkt starben, als ich noch jung genug war, um ein Leben ohne ihre liebevolle, aber manchmal erdrückende Gegenwart zu genießen.
Ich habe fünfundsiebzigjährige Bekannte, die sich immer noch um ein mittlerweile vollkommen vertrotteltes Elternteil kümmern. Sie schleppen sich auf brüchigen Knochen ins Pflegeheim, verbringen ein paar Stunden am Bett einer uralten Ruine, die sowieso nicht mehr weiß, mit wem sie’s da zu tun hat, und schleppen sich dann wieder nach Hause. Ich habe Bekannte, deren greisenhafte Eltern immer noch ihr Leben bestimmen. A lte Leute sollten sich rechtzeitig verabschieden und nicht die Gänge verstopfen wie Gäste auf einer Party. W ie sollen sich junge Leute entwickeln, wenn sie immerzu von uns Tattergreisen erdrückt werden?
Wir leben sowieso viel zu lange. Im Jahr 2040 wird in Großbritannien die A nzahl der Menschen über 64 der Prognose nach von 9 , 5 Millionen auf 15 Millionen steigen. W issenschaftler schätzen, dass ein Mensch, der am Ende dieses Jahrhunderts geboren wird, eine um zwanzig Jahre höhere Lebenserwartung hat als unsere Generation. Grässlich. Martin A mis spricht sogar von einem künftigen Krieg der Generationen; von alten Leuten, die die Hospitäler verstopfen und die Sozialleistungen monopolisieren, von einem » silbernen Tsunami«, der über die Gesellschaft hereinbrechen und zu schweren sozialen Unruhen führen wird.
Andere ins Jenseits befördern
Baronin W arnock hat gesagt, sie würde lieber sterben, als in ein kostspieliges Pflegeheim zu gehen. Dieses Geld käme viel besser ihren Kindern zugute. Ich bin ganz ihrer Meinung. Und falls Sie glauben, ich übertreibe, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass geschätzte 80 Prozent aller Senioren lieber Sterbehilfe in A nspruch nehmen würden, als krank oder verwirrt vor sich hin vegetieren zu müssen.
Ich selbst bewahre in fast jedem Zimmer meines Hauses und in meiner Brieftasche eine Patientenverfügung auf, und natürlich haben auch mein A rzt und mein A nwalt eine solche bekommen. Mein armer Sohn hat sich schon so oft anhören müssen, wie ich von ihm beseitigt werden will, falls ich eine Last für ihn werde, dass ich mich manchmal wundere, dass er sich nicht einfach ein Kissen nimmt, es mir aufs Gesicht drückt und der Sache hier und jetzt ein Ende macht.
Sich selbst ins Jenseits befördern
Wir in England haben offenbar die verschämteste, schwächlichste Recht-auf-Sterben-Lobby in ganz Europa. Dignity in Dying, früher auch Freiwillige Euthanasiegesellschaft genannt, danach EXIT (ein weit mutigerer Name), darf offenbar nicht einmal die Telefonnummer von Dignitas, der in der Schweiz ansässigen Sterbehilfeorganisation, herausgeben.
Was mache ich also, wenn ich das Leben satthabe, obwohl ich körperlich und geistig noch fit bin? W enn ich denke : A lso, ich glaube, ich habe genug. Das Leben hängt mir zum Hals raus. Ich würde gerne was Neues anfangen.
Nun, ich müsste es selbst machen.
Ich könnte eine Überdosis Medikamente nehmen. Ich habe irgendwo in einer Schublade, unter alten Pullis und Unterhemden, eine Flasche mit uralten rotgrünen Kapseln. Das V erfalldatum ist zwar längst abgelaufen, aber ich hoffe, dass sie das Ihre zu dem Giftcocktail beitragen werden, den ich mir im Fall der Fälle aus diversen
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