Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
bleibt er danach noch ein, zwei Monate in Kontakt. Mit manchen schläft er, und mit anderen trifft er sich nur einmal und nie wieder. Für ihn ist diese Partnerparade beinahe wie eine feste Beziehung, da es zwischen den Frauen offenbar einen fließenden Übergang ohne sichtbare Unterbrechungen zu geben scheint.
Für mich wäre das nichts. A ber zwei Bekannte von mir haben über das Internet immerhin den neuen Partner fürs Leben gefunden. Zugegeben, sie haben anfangs gewaltig geschwindelt, was ihr A lter betraf, und erst W ochen später gebeichtet, dass sie fünfzehn Jahre älter seien, als sie angegeben hatten, aber immerhin hat es geklappt. Dass sie zuvor Hunderte der grässlichsten Frösche küssen mussten, die die Britischen Inseln zu bieten haben, muss wohl nicht extra erwähnt werden.
Wie heißt es so schön? Jedes Töpfchen findet sein Deckelchen. W arum nicht auch Sie?
16. Alte Freunde
Lasst uns dankbar sein gegen alle, die uns Glück geben, denn es sind Zaubergärtner, und unter ihrer Hand blühen unsere Seelen auf.
Marcel Proust
Senescence begins
And middle age ends
The day your descendants
Outnumber your friends.
Ogden Nash
Das A ltern beginnt
und das mittlere A lter endet
an dem Tag, an dem die Zahl Ihrer Nachkommen
die Ihrer Freunde übersteigt.
Wenn man jung ist, kann man keine alten Freunde haben. Höchstens ebenso junge wie man selbst, vom Sandkasten an aufwärts. A ber wie gesagt, das ist wohl kaum eine » alte Freundschaft«. Man muss sich schon mindestens dreißig Jahre kennen, bevor man einander in die Kategorie » alter Freund« einordnen kann. Und wenn man die sechzig erreicht, kann es gut sein, dass manche Freundschaften schon fünfzig Jahre Bestand haben. W ir haben sie eingekellert, diese Freundschaften, wie W ein, und nun können wir sie genießen. Oft schmecken sie uns nur deshalb so gut, weil sie so alt sind. A ber genauso gut kann das Gegenteil der Fall sein – sie sind » verkorkt« –, und wir verfluchen uns für unsere jugendliche Urteilsschwäche, die uns nun zwingt, Jahr für Jahr jemanden zu treffen, mit dem es sich vielleicht einst wunderbar Plastilin kneten ließ, der sich aber jetzt, im A lter, zu einem rechtsextremistischen alten Starrkopf entwickelt hat.
Alte Freunde sind überaus seltsame Kreaturen. Begegnete man ihnen erst heute, würde es einem im Traum nicht einfallen, eine Freundschaft mit ihnen auch nur in Betracht zu ziehen. V ielleicht findet man sich ja einigermaßen sympathisch, aber doch nicht so, dass man zu Hause darüber berichten würde. Ein alter Freund jedoch, der einen über eine lange Zeit und durch dick und dünn begleitet hat, dessen Erinnerungen fast deckungsgleich mit den eigenen sind, ist wie ein guter alter Pulli. Er mag Löcher haben, mag an manchen Stellen geflickt sein, mit einer W olle, die nicht ganz genau dieselbe Farbe hat, und die Knöpfe– nun ja ein paar davon sind ihm gewiss abgefallen und jene, die noch da sind, sind mit einem nicht zum Pulli passenden Garn angenäht worden. Die Taschen mögen löchrig sein und man verliert sein ganzes Kleingeld– aber man bringt es einfach nicht übers Herz, ihn wegzuwerfen. W eil er so urbequem ist. Und so alt.
Neue alte Freunde– ist das möglich?
Ein neuer alter Freund, das klingt beinahe wie eine wissenschaftliche Unmöglichkeit, wie das Perpetuum mobile. A ber ich freue mich immer, Menschen wiederzubegegnen, die ich in meiner Jugend kannte– denn immerhin besteht die Möglichkeit, dass sie, allen Regeln zum Trotz, zu brandneuen alten Freunden werden könnten. Und weiß der Himmel, wir können sie gebrauchen. Irgend ein Dichter hat gesagt: A s life runs on, the road grows strange – The milestones into headstones change – ’neath every one a friend – Die Straße des Lebens wird immer seltsamer– aus Meilensteinen werden Grabsteine– und unter jedem ruht ein Freund.
Wenn wir nicht ständig für Nachschub sorgen, wird unser A dressbuch eines Tages auf eine Postkarte passen.
Und genau deshalb liebe ich Klassentreffen. Man kann natürlich schon ein paar Jahre nach dem Schul- oder Universitätsabschluss ein Treffen veranstalten, aber dann wird sich wohl kaum jemand grundlegend verändert haben. A ber ein vierzigjähriges Treffen beispielsweise kann einem Hören und Sehen vergehen lassen: Manche Leute sind derart gealtert, dass man sie kaum wiedererkennt. Manche ehemalige Klassenkameraden sind tatsächlich nicht wiederzuerkennen. Gott sei Dank, denken wir, haben wir unsere
Weitere Kostenlose Bücher