Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!
anderen Zerstreuung, die vom Geschäft desTodes ablenken sollte.
» Kommen Sie mit, meine Liebe? « , sagte eine Schwester zu mir, als sie vorbeimarschierte. » Wird Ihnen Spaß machen.Aerobics im Sitzen. Jeder kann mitmachen. «
Der entsetzte Blick, als mir klar wurde, dass sie mich für eine Insassin oder vielmehr einen » Gast « – wie sie vermutlich sagen sollte– gehalten hatte, entging ihr wohl nicht, denn sie entschuldigte sich sofort. » Oh, tut mir leid, meine Dame.Aber Sie können trotzdem mitmachen, wenn Sie Lust haben. «
Aerobics im Sitzen? Das konnte nur alsWitz gemeint sein. Sah ich wirklich aus, als wäre ich hier untergebracht? Ich stand auf, um mich in einem Spiegel zu begutachten, fand aber keinen. Sicher sollen Oldies keine Spiegel in der Nähe haben, damit sie nicht beimAnblick der gespenstisch schrumpligen Gestalten, in die sie sich verwandelt haben, vor Schreck tot umfallen. BeimAufstehen fiel mir jedenfalls etwas Merkwürdiges auf. Der Saum meines Kleids. Ich runzelte die Stirn. Das Kleid hatte doch keine Borte? Ich schaute genauer hin. Und stellte entsetzt und beschämt fest, dass ich das Kleid verkehrt herum angezogen hatte. KeinWunder, dass die Schwester gedacht hatte, ich würde hier wohnen. Ich betastete den Kragen und spürte das Schild außen. Panisch eilte ich ins nächste Klo, wo ich dann auch endlich einen Spiegel fand. Ich fürchtete plötzlich, dass dieArbeit meines Schönheitschirurgen wie im Märchen mit einem Glockenschlag um Mitternacht endete und mein Gesicht wieder so wie vorher aussah. Doch nein. Mein neues Gesicht war noch intakt. Ich legte kräftig Make-up nach und brachte meine Haare in Bestform, damit ich als Besucherin unverkennbar war, bevor ich mich wieder in den Flur wagte. Puh! Um ein Haar hätten die mich mit einem Beruhigungsmittel vollgepumpt, und ich hätte mich im HausAbenddämmerung wiedergefunden, auf einemToilettenstuhl vor dem Fernseher.
Ich nahm wieder meinen Platz vorArchies Zimmer ein, und schließlich kam die Schwester mit einem Klemmbrett heraus.
» Sie können jetzt zu ihm, Mrs Ship « , sagte sie. Dem Himmel sei Dank.Alles war wieder normal.
Ich schlich ins Zimmer.Archie lag im Bett, nur noch Haut und Knochen, bleich und hager und mit eingesunkenenAugen.An seinen dünnenArmen waren Infusionen befestigt. Er starrte an die Decke. Es war erstickend heiß im Zimmer, und es roch nach Desinfektionsmittel. Ich versuchte, ein Fenster zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen, doch es war verriegelt. Schließlich machte ich dieTür zum Garten auf, und die kühle Luft, die hereindrang, brachte einen Hauch von Leben ins Zimmer. Ich ließ dieTür angelehnt und wandte mich um.
» Hallo Liebling « , begrüßte ich ihn leise.
Archie drehte den Kopf in meine Richtung und gab eineArt ersticktes Keuchen von sich. Er bewegte sich leicht, als wolle er sich aufsetzen.
» Hallo « , sagte er mühsam. Sein Mund schien ganz ausgetrocknet zu sein. » Meine Schöne. «
Ich gab ihm ein bisschenWasser zu trinken und schüttelte sein Kissen auf. Dann setzte ich mich zu ihm und streichelte seine Hand. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Manchmal stöhnte er und bewegte sich ein bisschen oder versuchte zu sprechen. Schließlich redete ich einfach irgendetwas. Ich erzählte von New York, der Familie, dem Flug, dem Herbst, James’ verschrobener Installation, ohne zu wissen, ob er irgendetwas davon verstand.
Dann dachte ich: Das ist doch absurd. Ich benehme mich wie diese blöden Schwestern, die ihn zwanghaft am Leben erhalten und andauernd so tun, als wäre alles in Ordnung. Ich nahm meinen Mut zusammen.Auch weil ich mich an meinen letzten Besuch bei Hughie erinnerte und wusste, dass es der falsche Zeitpunkt war, um höflich oder heiter zu sein. Draußen setzte allmählich die Dämmerung ein.
» Liebling « , sagte ich, » du sollst wissen, dass diesmal alles gut sein wird. Sylvie und ich werden dafür sorgen, dass du bald einschlafen und Frieden finden kannst.Wir wissen, was du willst, mein Liebling. Das ist alles zu viel für dich, ich weiß. Es ist schmerzhaft und mühsam, und bald wirst du Frieden finden, endlosen Frieden. Ich verspreche es dir… «
Als ich meine Hand auf seine kalte trockene Stirn legte, spürte ich, wie dieAnspannung aus seinem Körper wich. Sein Gesicht, das so verkrampft gewirkt hatte, als ich hereinkam, wurde weich, und er führte langsam meine Hand zu seinen Lippen, um sie zu küssen. Dann sagte ich: » Weißt du, mein Schatz, ich
Weitere Kostenlose Bücher