Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Fast 1 000 Menschen fanden sich ein, und so wurde die Nationalgarde einberufen, weil man gewaltsame Auseinandersetzungen befürchtete. Natürlich war die Atmosphäre im Saal ebenso angst- wie spannungsgeladen. Nachdem verschiedene hohe, internationale Würdenträger ein paar einleitende Worte von sich gegeben hatten, überließ man mir das Rednerpult, um die Verhandlungen zu erleichtern.
Einer Eingebung folgend bat ich die Anhänger der fraglichen Gruppierungen, sich die zerstörerische Kraft des Konflikts in einem konkreten Bild vor Augen zu führen. Sie konnten sich eine bekannte Person vorstellen, die verletzt oder getötet worden war, konnten sich den Verlust ihres Arbeitsplatzes, die Zerstörung einer Freundschaft oder familiärer Bande oder den Albtraum eines Kindes vorstellen – was auch immer jeder Einzelne damit verband. Dann fragte ich sie: »Welches spanische Wort würden Sie nutzen, um Nein zur politischen Gewalt zu sagen?« Das Wort, das den meisten Anwesenden in den Sinn kam, war » Basta! Genug!«. Also sagte ich: »Gut, dann möchte ich Sie jetzt um einen Gefallen bitten. Einen Augenblick lang möchte ich die Stimme des venezolanischen Volkes hören, eine Stimme, die bis zum heutigen Tag schweigen musste, die Stimme der Vernunft. Behalten Sie Ihr persönliches Bild des Konflikts im Gedächtnis und rufen Sie gemeinsam ›Basta‹. Legen Sie Ihr ganzes Gefühl in den Ruf. Werden Sie das für mich tun?« Sie nickten. Ich zählte bis drei, und ein lautes ›Basta!‹ fegte durch den Saal. Es war machtvoll, allerdings hatte ich immer noch das Gefühl, dass einige sich eher zurückhielten, vielleicht aus Schüchternheit. Deshalb bat ich das Publikum, es zu wiederholen. Sie taten mir den Gefallen, und ihr Ruf war sehr stark. Ich bat sie, ein letztes Mal zu rufen, und durch dieses dritte ›Basta‹ erzitterte das gesamte Theater in seinen Grundfesten.
Danach hatte sich die Atmosphäre im Saal merklich verändert. Ich kann ohne Übertreibung behaupten, dass die negativ geladenen Emotionen der Angst und Wut sich in die positiv geladene Absicht verwandelten, diesen destruktiven Konflikt zu beenden. Und wie um es zu bestätigen, riefen die Teilnehmer der Veranstaltung noch am gleichen Nachmittag in diesem Theater ein Komitee ins Leben, das einen Friedensplan für Venezuela ausarbeiten sollte. Sie trafen sich einmal wöchentlich und begannen, Gespräche zu organisieren, ebenso wie Straßentheater, Radio- und Fernsehsendungen, Programme in Schulen und Tanzveranstaltungen für Jugendliche, die allesamt darauf abzielten, Spannungen abzubauen und für mehr Verständnis zu werben. Seither sind drei Jahre vergangen, und der Einfluss dieser Initiative ist immer noch ungebrochen. Sie ist zu einer gesellschaftlichen Bewegung herangewachsen, die sich Aquí Cabernos Todos nennt, was so viel bedeutet wie »Hier passen wir alle zusammen«. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Mitglieder dieser Organisation durch ihr Engagement einen echten Unterschied bewirkt haben – für sich selbst ebenso wie für ihr Land.
Und die Moral von der Geschicht’: Sie können Ihre Emotionen nutzen, um sich selbst zu einem Nein zu mobilisieren und für das einzutreten, was Ihnen wichtig ist. Angst, Furcht und Wut schenken Ihnen jene transformative Energie, die Sie benötigen, um innere und äußere Veränderungen zu bewirken. Wenn Sie lernen, auf Ihre Gefühle zu hören und sie zu respektieren, statt sie auf destruktive Weise abzureagieren, machen Sie sie zu Freunden und Verbündeten. Ihre Empfindungen geben Ihnen die Zivilcourage, um Nein zu sagen – ein vollmundiges, volltönendes Nein, das aus tiefstem Herzen kommt.
Enthüllen Sie Ihr Ja
Das Ja zu enthüllen erfüllt drei nützliche Aufgaben:
Es gibt Ihnen positive Wurzeln. Sie können auf eigenen Beinen stehen, ohne jemand anderem auf die Zehen zu treten. Ihr Nein kann jetzt für Ihre Bedürfnisse eingesetzt werden und nicht gegen den anderen. Statt den anderen durch Ihr Nein zurückzuweisen, sagen Sie einfach nur Ja zu dem, was Ihnen am meisten am Herzen liegt.
Es zeigt Ihnen die richtige Richtung. Sie wissen, wo Sie stehen und wo Sie mit Ihrem Nein hinwollen.
Es versorgt Sie mit Energie. Es gibt Ihnen die Kraft, Nein zu sagen und dabei zu bleiben, auch wenn Sie auf Widerstand stoßen.
Nun, da Sie Ihr Ja enthüllt haben, wird es Zeit, Ihrem Nein Macht zu verleihen. Und genau das ist das Thema des nächsten Kapitels.
2 Verleihen Sie Ihrem Nein Macht
Bereit zu sein
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