Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Ärmsten der Armen, die kurz vor dem Verhungern waren, entrichten mussten, wenn sie überleben wollten. Niemand durfte Salz herstellen, auch nicht für den persönlichen Gebrauch. Der alte Mann beschloss, dieses ungerechte Gesetz zu brechen, indem er ans Meer ging und Salz aus dem Meer holte.
Als der alte Mann seine politischen Verbündeten in seinen Plan einweihte, fragten sich viele, ob er den Verstand verloren hätte. Er wollte das Empire herausfordern, indem er eine Handvoll Salz aus dem Meer gewann? In einem Brief an die imperialen Autoritäten erklärte der alte Mann sein Nein zum Salzgesetz, bat darum, es aufzuheben, und kündigte an, was er unternehmen würde, wenn man seiner Bitte nicht nachkäme.
Die britischen Regierungsbeamten lachten. Wer würde einer solchen Demonstration schon Aufmerksamkeit schenken? Am besten war es wohl, ihn nicht ins Gefängnis zu stecken, sondern ihn zu ignorieren und ihm keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Sollte er sich doch zum Narren machen.
Der alte Mann verließ sein Haus und machte sich mit seinem Wanderstab und 80 Gefährten auf den Weg zu der 240 Meilen entfernten Küste. Auf seiner Reise schlossen sich ihm Tag für Tag Tausende von Gleichgesinnten an. Als er schließlich am Ziel war und Salz aus dem Meer holte, waren die Augen des gesamten indischen Volkes auf ihn gerichtet – und die Welt sah zu. Die Neuigkeiten verbreiteten sich schnell in Indien, und Hunderte von Menschen begannen, »illegales« Salz zu gewinnen und zu verzehren. Die Regierungsbeamten kamen schon bald zu dem Schluss, dass ihnen keine Wahl blieb, als den alten Mann doch zu inhaftieren, um der Rebellion Einhalt zu gebieten. Aber es funktionierte nicht. Innerhalb von ein paar Monaten wimmelte es in den Gefängnissen von Protestierenden. Es waren Tausende! Das Land kam buchstäblich zum Stillstand. Den imperialen Machthabern war das Lachen mittlerweile vergangen.
Innerhalb weniger Monate gaben die Behörden nach und ließen den alten Mann wieder frei. Zur allgemeinen Überraschung setzte sich der Vizekönig mit diesem Inder wie mit einem Gleichgestellten zusammen und verhandelte mit ihm über eine Einigung. Sie vereinbarten, dass die Menschen, die in küstennahen Gebieten lebten, ihr eigenes Salz herstellen durften, ohne dass eine Steuer darauf erhoben wurde. Dies war der Anfang vom Ende der britischen Kolonialherrschaft.
Der alte Mann war natürlich Mahatma Gandhi. Niemand verstand es besser, ein positives Nein zu äußern. Gandhi kannte das paradoxe Geheimnis des effektiven Neinsagens: Ein mächtiges Nein stützt sich auf ein tiefes Ja, ein lebensbejahendes Ja. Salz ist eine grundlegende Notwendigkeit, ein Symbol des Lebens selbst. Gandhi bejahte das Leben, indem er Salz aus dem Meerwasser gewann, wie es Menschen seit Jahrtausenden getan hatten.
Dadurch richtete Gandhi die Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung, die das indische Volk durch das Empire erdulden musste, sowie auf die Steuergesetzgebung, die die Ärmsten der Armen belastete, um die möglicherweise reichste und extravaganteste Kolonialadministration der Welt zu unterstützen. Seine positive Handlung bestand in einem lauten und klaren Nein, das die Inder ebenso verstanden wie die imperialen Herrscher.
Jahr um Jahr beharrte Gandhi geduldig und erbarmungslos auf seinem Standpunkt, unterstrich sein Nein mit positiver Macht, bis sich das Empire schließlich zurückzog.
Unterstreichen Sie Ihr Nein mit positiver Macht
Wenn Ihr Gegenüber sich weigert, Ihr Nein zu akzeptieren, sehen Sie auf den ersten Blick vielleicht nur zwei Alternativen: Unterwerfung oder offene Auseinandersetzung. Aber es gibt eine dritte Möglichkeit, die Gandhi uns vor Augen führt. Nicht überreagieren, sondern unterstreichen. Zu unterstreichen bedeutet, geduldig und beharrlich zu betonen, dass Ihr Nein ein Nein bleibt. Es bedeutet, immer wieder für das einzutreten, was Ihnen wichtig ist, ohne die Möglichkeit einer Übereinkunft oder einer gesunden Beziehung zu zerstören. Es bedeutet, positive Macht einzusetzen, die – wie Sie sich vielleicht erinnern – die Macht einer positiven Absicht ist, welche durch einen Plan B gestützt wird.
Obwohl es immer gut und nützlich ist, einen Plan B in der Hinterhand zu haben und sich darauf zu berufen, bezahlen wir oft einen hohen Preis, wenn wir tatsächlich darauf zurückgreifen, denn meist belastet er unsere Beziehung zu dem anderen. Es empfiehlt sich daher ein schrittweiser Ansatz. »Der beste General ist derjenige,
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