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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Antwort.
    Plötzlich war ihm vollkommen klar, was er tun musste. Tief in sich hatte er es die ganze Zeit über gewusst, nur war diese Erkenntnis einfach zu schrecklich gewesen, als dass er es bisher gewagt hätte, den Gedanken zu Ende zu denken. Doch mit einem Mal ergab alles Sinn. Das Schicksal hatte den fetten Schmugglerkönig nicht ohne Grund hierhergebracht, nach Rom und an diesen ganz besonderen Ort und diesem ganz besonderen Zeitpunkt. Er hatte das nie gewollt. Sein Leben lang hatte er diejenigen bekämpft, die es taten, und sich sogar eingeredet, sie aus tiefstem Herzen zu verachten. Aber jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Wenn er jetzt und hier starb, dann bedeutete das auch Aylas Ende, nicht einfach nur ihren Tod, sondern ein Schicksal, das tausendmal schlimmer war, denn diese höllischen Wesen würden nicht nur ihren Körper zerstören, sondern auch ihre Seele.
    Da war noch ein winziger Rest von Vernunft in ihm, der ihm klarzumachen versuchte, welch entsetzlichen Preis er bezahlen würde, wenn er diesen Weg beschritt, aber er ignorierte ihn. Was zählte es schon, was mit ihm geschah, wenn Ayla gerettet war?
    Eine neue Welle gackernder, grabschender und schnappender Zerrbilder vormals menschlichen Lebens flutete die Treppe herauf, verschlang einen der Soldaten beinahe schneller, als es Andrejs Augen erfassen konnten, und drängte ihn allein durch ihre schiere Masse Stufe um Stufe weiter nach oben, ganz gleich, wie viele Angreifer er auch mit seinem Schwert niederstreckte oder mit Fußtritten und Kniestößen zurückschleuderte. Unter ihm wurden Abu Dun und das immer rascher zusammenschmelzende Häuflein Verteidiger im gleichen Maße von der Treppe weggerissen, als die blutrünstige Flut zurückschwappte und ihr hilfloses Strandgut mit sich nahm.
    Mit einem weit ausholenden Schwertstreich verschaffte sich Andrej noch einmal Bewegungsfreiheit, fuhr auf dem Absatz herum und raste die Stufen hinauf. Hinter Ruetli und dem Schmuggler machten sich die überlebenden Assassinen bereit, sich ohne zu zögern in einen Kampf zu stürzen, den sie nicht bestehen konnten. Der Schweizer Hauptmann versuchte hastig, eine doppelläufige Pistole aus dem Gürtel zu ziehen, ohne dabei Abu Duns Schwert fallen zu lassen.
    »Conte Delãny!«, begann Corleanis krächzend. »Was …?«
    Andrej stieß ihn einfach aus dem Weg, sodass er gegen das steinerne Treppengeländer geschleudert wurde und einen quiekenden Schrei ausstieß. Dann entriss er Ruetli den monströsen Krummsäbel und warf ihn in hohem Bogen hinter sich, ohne wirklich gezielt zu haben, darauf vertrauend, dass Abu Dun die Waffe fing – und sie ihm half, die wenigen kostbaren Augenblicke durchzustehen, die er noch brauchte.
    Unter seinen Füßen erbebte die gewaltige Steintreppe, als eine weitere Woge Angreifer zu ihnen heraufraste. Ruetli feuerte beide Läufe seiner Pistole so schnell hintereinander ab, dass das Geräusch zu einem einzigen peitschenden Knall verschmolz, schleuderte der herantobenden Menge die nutzlose Waffe entgegen und zog sein Schwert. Die Assassinen nahmen rechts und links von ihm Aufstellung, um den schrecklichen Gegner mit schneidendem Stahl und tödlichen Dornen in Empfang zu nehmen.
    »Haltet sie auf!«, brüllte Andrej. »Nur eine Minute!«
    Was eine Ewigkeit war, angesichts dessen, was auf sie zukam. Hätte Andrej den stählernen Klang seines
Saif
der tödlichen Melodie hinzugefügt, mit der sie ihre Gegner empfingen, hätten sie diese Frist zweifellos verdoppeln oder gar verdreifachen können, doch stattdessen ließ er die Waffe fallen, wandte sich Corleanis zu und riss ihn mit beiden Händen in die Höhe und an sich heran.
    Corleanis’ Augen wurden groß. Vielleicht begriff er sogar noch, was ihm bevorstand, denn in die Verwirrung und Furcht in seinen Augen mischte sich kurz Entsetzen, bis sich Andrejs Zähne in seinen Hals gruben und ihm die Kehle herausrissen.
    Die Zeit erstarrte zu rotem Glas, das wie mit glühenden Scherbenkanten in sein Fleisch und seine Seele schnitt. Hinterher sollte er begreifen, dass es nur Augenblicke gewesen waren, nicht einmal annähernd die Minute, von der er gesprochen hatte, doch solange es andauerte, hätten es ebenso gut Stunden sein können oder Jahre oder Ewigkeiten. Corleanis’ Todesschrei gellte in seinen Ohren und seiner Seele, und zugleich war ihm, als schrie die Schöpfung selbst rings um ihn herum in schierer Abscheu auf, ob des Ungeheuerlichen, das er tat. Aber zugleich empfand er auch eine

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