Nekropole (German Edition)
verstehe.«
»Das da?«, fragte Andrej mit einer Kopfbewegung hinter sich.
»Es gibt keinen Tod mehr«, sagte Clemens. »Das Schlimmste überhaupt ist geschehen, und es ist meine Schuld.«
»Was … soll das heißen«, fragte Andrej verstört, »es gibt keinen Tod mehr?«
»Kommt dir das nicht bekannt vor?«, stichelte Ali.
»Ich fürchte, es ist wahr«, sagte Clemens leise. Schimmerten Tränen in seinen Augen? »Der alte Widersacher ist geschlagen, aber der Preis ist entsetzlich. Nichts und niemand stirbt hier, Andrej, seit der Tod selbst tot ist.«
»Und du hast ihn getötet?«, fragte Abu Dun fassungslos.
»Ich wollte, es wäre so einfach«, seufzte Clemens. »Sollten wir das hier überleben, dann wirst du alles erfahren – auch, warum gerade ihr uns begleiten musstet!«
»Und wenn nicht?«, erkundigte sich Abu Dun.
»Dann gibt es niemanden mehr, der dir etwas erzählen könnte, du Narr!«, fuhr ihn Ali an. »Nicht einmal dich und deinesgleichen!« Das sagte er so voller Hass und … ja, Ekel, dass sich Andrej nicht gewundert hätte, ihn im nächsten Augenblick seine Waffe ziehen und sich auf den nubischen Riesen stürzen zu sehen. Ali hatte nie behauptet, ihr Freund zu sein, aber Andrej hatte gehofft, dass er sie und vor allem das, was sie waren, inzwischen wenigstens akzeptierte. Doch jetzt begriff er, wie abgrundtief Ali Abu Dun und ihn hasste. Das, was sie waren, und wofür sie standen. Und dass er wusste, wie dringend sie auf Abu Dun und ihn angewiesen waren, machte es noch schlimmer.
Clemens ging ohne ein weiteres Wort zur Treppe zurück, Als er die unterste Stufe erreicht hatte, bedeutete er ihnen mit erhobener Hand, stehenzubleiben.
»Was sollen wir tun?«, fragte Andrej.
»Wären wir rechtzeitig gekommen, hätte ich dich nicht um das bitten müssen, worum ich dich jetzt bitte«, antwortete Clemens. Abu Dun wollte an ihm vorbeigehen, doch Clemens streckte rasch den Arm aus und hielt ihn zurück. Mit der anderen Hand machte er eine ausholende Geste in die Dunkelheit hinein. »Wer auch immer diesen Raum geschaffen hat, hat ihn mit großer Sorgfalt gebaut und einem Wissen, über das heute niemand mehr verfügt. In diesem Raum sind viele Fallen verborgen. Als ich das erste Mal hier war, mussten fünf tapfere Männer ihre Leben lassen, um den richtigen Weg zu finden.«
Abu Dun legte die Stirn in Falten, sah sich dann nachdenklich um und deutete schließlich mit seiner Eisenhand nacheinander auf die fünf überlebenden Assassinen. »Na, das kommt doch genau hin«, sagte er. »Heute scheint unser Glückstag zu sein.« Er bemühte sich um einen leicht zerknirschten Blick, während er noch einmal die schwarz gekleideten Krieger ansah. »Also, unserer zumindest. Eurer nicht, fürchte ich.«
Andrej hob seine Fackel höher und strengte sich an, um der Dunkelheit mehr Details abzuringen. Doch selbst seine scharfen Augen erkannten nicht mehr als Umrisse.
»Wären wir rechtzeitig gekommen, dann hätte der Mond uns den Weg gewiesen«, sagte Clemens und wies nach oben. Andrejs Blick folgte seiner Hand, aber er entdeckte auch dort oben nichts als Schwärze, in der ein körperloser Schrecken nur darauf wartete, auf sie herabzustürzen.
»Und was ist dort oben?«
»Ein Spiegel, der das Licht des Mondes einfängt, sodass es den richtigen Weg beleuchtet«, antwortete Hasan. »Allerdings nur in einer einzigen Nacht des Jahres. Und auch nicht in jedem Jahr. Ich hatte gehofft, dass wenigstens noch ein Schimmer geblieben wäre, aber die Architekten dieser Anlage waren sehr kluge Menschen. Sie haben sie tief nach unten verlegt, weit weg von jedem offenen Blick – und doch nahe an der Unendlichkeit des von unserem Schöpfer erschaffenen Universums.«
»Und da haben sie gleich noch ein paar heimtückische Fallen spendiert«, maulte Abu Dun.
»Apropos Fallen«, sagte Andrej, um Sachlichkeit bemüht. »Was für Überraschungen erwarten uns hier?«
Statt zu antworten nickte Clemens Ali zu, woraufhin sich der Assassinen-Hauptmann eine brennende Fackel reichen ließ. Andrej erlebte eine weitere Überraschung, als er sie mit aller Macht in die Dunkelheit schleuderte, denn der lodernde Halbkreis aus blutfarbenem Licht zeigte ihm, dass die unterirdische Halle nicht annähernd so gigantisch war, wie ihn seine Erwartung und die so seltsam falschen Echos hatten glauben lassen. Die gegenüberliegende Wand war nicht einmal den sprichwörtlichen Steinwurf entfernt, und wenn man es genau nahm, war es auch nicht wirklich eine
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