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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eine steile Treppe über. Die Anlage unter ihm war so weitläufig, dass Andrej ihre Größe nicht einmal zu schätzen wagte. Das Licht der Fackel verlor sich schon nach einer oder zwei Armeslängen, aber er spürte die enorme Weite, die sie umgab.
    »Gebt auf den Sims acht«, sagte Clemens irgendwo hinter ihm, was nicht nur vollkommen überflüssig war, wie Andrej fand, sondern auch alles andere als konstruktiv.
    Das Rascheln wiederholte sich, kaum dass er den ersten Schritt getan hatte, und aus dem Schatten wurde eine erschreckend große und hässliche Spinne, die sich durch ihr plötzliches Auftauchen gestört fühlte und aus ihrem Versteck zwischen den Steinen floh. Andrej hatte einmal gehört, dass Spinnen trotz ihrer zahlreichen Augen schlecht sahen, und zumindest bei diesem Exemplar schien das wohl zu stimmen, denn sie stakste auf ihren langen haarigen Beinen direkt auf ihn zu. Ob es nun seinen angespannten Nerven geschuldet war oder dem leisen Widerwillen, den Andrej Zeit seines Lebens beim Anblick eines solchen Tieres empfunden hatte: Er hob ganz automatisch den Fuß, um die abstoßende Kreatur zu zermalmen. Doch kurz bevor er zutreten konnte, legte Clemens ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück. »Nicht.« Er klang fast erschrocken. Andrej schüttelte seine Hand zwar barsch ab, zog den Fuß aber zurück und sah stirnrunzelnd zu, wie sie zwischen Abu Duns Füßen hindurchlief und dann wieder in der Dunkelheit verschwand.
    »Was soll das?«, fragte er mürrisch.
    »Dieses Tier hat uns nichts getan«, erwiderte Clemens. »Es mag uns hässlich oder sogar unnütz vorkommen, aber es ist ein Geschöpf Gottes, das seinen Platz im großen Plan hat.«
    »Es ist in der Tat hässlich«, sagte Andrej.
    »Wenn das ein Grund ist, totgeschlagen zu werden, dann wäre diese Welt ein sehr einsamer Ort«, sagte Abu Dun. Niemand beachtete ihn.
    »Wir werden kein Leben grundlos auslöschen«, fuhr Clemens mit großer Eindringlichkeit fort und als hätte Abu Dun gar nichts gesagt. Andrej starrte ihn mit offenem Mund an. War das wirklich derselbe Mann, mit dem er hierhergekommen war und der sich selbst als den legitimen Nachfahren Hasan as Sabahs bezeichnete, des berüchtigtsten Mörders der letzten tausend Jahre? Er suchte in Clemens’ Augen nach einem verräterischen Hinweis darauf, dass er sich über ihn lustig machte, aber entweder meinte er es ernst, oder er war ein sogar noch besserer Schauspieler, als Andrej ohnehin schon angenommen hatte.
    Nachdem er sich eine Weile ganz unverhohlen an Andrejs Verblüffung geweidet hatte, fügte er sogar noch hinzu: »Wir dürfen kein Leben auslöschen, solange wir hier unten sind, Andrej, das ist sehr wichtig. Weder das eines Menschen noch das eines Tieres. Versprichst du mir das?«
    »Wozu haben wir dann das hier mitgebracht?«, fragte Abu Dun und ließ seine Eisenhand auf den Schwertgriff klirren.
    »Meinst du damit dein Schwert oder deine zweite linke Hand?«, fragte Ali lächelnd.
    »Versprichst du mir das?«, fragte Clemens noch einmal.
    Andrej nickte.
    »Gut«, sagte Clemens. Er klang erleichtert. »Dann lass uns weitergehen. Sie werden bald hier sein, und bis dahin müssen wir unser Werk getan haben.«
    »Amen«, schloss Abu Dun, woraufhin Altieri und seine Begleiter leise murrten. Ali warf ihm einen warnenden Blick zu.
    Andrej wandte sich schweigend um, setzte seinen Weg fort und traf zu seiner Erleichterung auf keine weitere Spinne mehr.
    »Wohin gehen wir?«, fragte er und bedauerte seine eigenen Worte sogleich, denn seine Stimme tat nicht, was sie sollte. Was als Echo zurückkam, war …
anders.
Auf eine erschreckende Weise verändert und im Sinn verdreht, die er nicht beschreiben konnte.
    »Es ist nicht mehr weit«, antwortete Clemens, was von denselben, schrecklich verzerrenden Echos begleitet wurde. »Dort unten ist eine Halle, in der wir finden werden, weshalb wir hergekommen sind.«
    »Und da bist du sicher?«, fragte Andrej.
    »Wieso?«, fügte eine Stimme hinzu, von der Andrej annahm, dass sie Abu Dun gehörte.
    Clemens wartete, bis das sonderbar hallende Echo des einzelnen Wortes verklungen war, bevor er antwortete: »Weil ich es hierhergebracht habe. Vor sehr langer Zeit.«
    Andrej hatte das Ende des schmalen Simses erreicht und tastete mit dem Fuß nach der ersten Stufe. Sie war schmal und führte in so jähem Winkel in die Tiefe, dass selbst ihm bei der Vorstellung unbehaglich wurde, sie hinabzusteigen. Es gab kein Geländer und es hatte auch niemals

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