Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
kaum noch werden.«
    Er sollte sich irren.

Kapitel 6
    Nur wenige Straßenzüge von dem kleinen Gasthaus entfernt hatten sie ihr Ziel bereits erreicht. Auch hier erlebten sie, wie schon so oft, dass die, denen sie auf ihrem Weg begegneten, entweder bei Abu Duns Anblick kurzerhand kehrtmachten und hastig in der nächstbesten Tür oder Seitenstraße verschwanden oder den sieben Fuß großen Nubier so fasziniert oder fassungslos (oder beides) anstarrten, dass sie ihre Begleiter kaum bemerkten.
    Manchmal war es durchaus von Vorteil, einen so auffälligen Begleiter zu haben.
    Bei allem Aufsehen, das Abu Duns beeindruckende Erscheinung erregte, waren die Straßen doch schon fast unheimlich leer. Es war ein normaler Wochentag, und sie befanden sich nahe am Stadtzentrum, nicht in einem verschwiegenen Vorort (wo Andrej ihr Quartier aufgeschlagen hätte, wäre er an Corleanis’ Stelle gewesen), und die Straßen sollten voller Menschen sein. Doch die Straßen, durch die sie gingen, wirkten wie ausgestorben. Über der ganzen Stadt schien eine schwer greifbare Niedergeschlagenheit zu liegen, die alle Laute dämpfte, das Licht eine Spur weniger hell scheinen und alle Bewegung eine Winzigkeit mühsamer werden ließ. Andrej konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden, aber es war da. Auch er spürte eine vage Beklommenheit, seit sie an Land gegangen waren.
    Corleanis blieb stehen und bedeutete ihnen mit einer Geste, ebenfalls anzuhalten. »Wartet hier«, sagte er. »Ich bin gleich zurück. Geht nicht weg. Und sprecht mit niemandem.«
    »Wie könnten wir das«, fragte Abu Dun im akzentfreisten Italienisch, das Andrej je gehört hatte, »wo wir doch die Landessprache nicht einmal verstehen?«
    Corleanis starrte ihn nur an, als hätte er nicht verstanden, wovon der Nubier sprach, runzelte vielsagend die Stirn und war dann so plötzlich verschwunden, dass Andrej einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass er in einer schmalen Gasse zwischen zwei Häusern untergetaucht war, und das so flink und lautlos, als wäre er einfach mit der Nacht verschmolzen. Abu Dun amüsierte sich ganz unverfroren über sein Erstaunen, was Andrej mit einem flüchtig-verlegenen Lächeln quittierte. Im Stillen mahnte er sich aber zu mehr Vorsicht. Corleanis’ Art und vor allem der Umstand, dass er sich redliche Mühe gab, den komischen Zwerg zu spielen, ließ ihn nur zu leicht vergessen, wer dieser Mann wirklich war: nicht der zänkische Hofnarr, sondern der Herr über eine ganze Schmugglerdynastie, ein Dieb, Pirat und gewiss auch ein Mörder, dem ein Menschenleben nichts galt. Und der ganz gewiss gut in dem war, was er tat, denn sonst wäre er jetzt nicht hier.
    Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander, in der Andrej versuchte, die Dunkelheit in der schmalen Gasse mit Blicken zu durchdringen, doch das war eine Aufgabe, vor der selbst seine scharfen Augen kapitulierten.
    »Das wäre jetzt der richtige Moment«, sagte Abu Dun schließlich.
    »Wofür?«, fragte Andrej. Obwohl er eine ziemlich konkrete Vorstellung von der Antwort hatte. Er wurde nicht enttäuscht.
    »Zu verschwinden«, sagte Abu Dun. »Rom ist eine große Stadt und Italien ein noch größeres Land. Wir wären schon weg, bevor Ali auch nur begreift, was wir tun.«
    Er bekam keine Antwort, ließ einen weiteren Moment verstreichen und wartete, bis Andrej seine Bemühungen eingestellt hatte, Löcher in die Dunkelheit zu starren, und wieder zu ihm hochsah, um dann fortzufahren: »Und wir hätten noch deutlich mehr Zeit, wenn wir Corleanis töten.«
    Andrej war nicht im Geringsten überrascht, das von Abu Dun zu hören. Entsetzt aber war er, dass Abu Dun es offenbar ernst meinte. »Seit wann brechen wir unser Wort?«, fragte er. Und was hatte der Schmuggler Abu Dun getan?
    Abu Dun verzog spöttisch die Lippen. »Ich bin nicht ganz sicher, wer mit dem Betrügen angefangen hat.«
    »Das spielt überhaupt keine Rolle«, sagte Andrej leicht verärgert. »Du lebst, oder? Hasan hat mein Wort, und ich werde es nicht brechen.«
    »Weil du einen Ruf zu verlieren hast?«, stichelte Abu Dun.
    Andrej schwieg – schon weil er fürchtete, dass seine Antwort zu heftig ausfallen würde.
    »Also?«, fragte Abu Dun nach einer weiteren, unbehaglichen Weile. Er meint es wirklich ernst, dachte Andrej verblüfft. Ein Wort von ihm, und sie würden auf der Stelle das Weite suchen, und nicht einmal Hasan as Sabah und alle seine Assassinen würden sie wiederfinden. Und warum eigentlich nicht? Abu Dun hatte recht: Nichts

Weitere Kostenlose Bücher