Nekropole (German Edition)
überprüfen, kehrte aber schon nach wenigen Minuten und unverrichteter Dinge zu Ali zurück. Der Soldat war mittlerweile gestorben, er kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Ali seine blutigen Finger an dessen gestreiftem Wams abwischte und aufstand.
»Hier ist niemand«, sagte er.
»Bist du sicher?«
»Ja.« Andrej hütete sich, den Toten mit mehr als nur einem flüchtigen Blick zu bedenken, doch selbst das war schon beinahe mehr, als er ertrug. »Vielleicht hätten wir mehr erfahren, wenn du nicht so versessen darauf gewesen wärst, jeden möglichst schnell umzubringen, der dir über den Weg läuft.«
Ali zog nur verächtlich die Augenbrauen hoch und wartete, bis sich auch der Assassine wieder zu ihnen gesellt und ihm mit einem stummen Kopfschütteln signalisiert hatte, ebenfalls nichts gefunden zu haben, dann machte er eine Geste in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sowohl Helm als auch Hellebarde ließ er neben dem Toten liegen, und auf der Treppe nach oben riss er sich auch das gestreifte Wams vom Leib. Andrej entging keineswegs, wie mühelos Ali den zähen Stoff zerriss. Er hatte zwar schon am eigenen Leib erfahren, wie stark der Araber war, aber
das
überraschte ihn nun doch. Er nahm sich vor, Ali in Zukunft noch ein bisschen aufmerksamer im Auge zu behalten, als er es ohnehin schon tat.
Oben hatten Alis Männer eine zweite Fackel angezündet, was die Schwärze um sie herum nur noch zu vertiefen schien. Andrej konnte die Furcht der Männer spüren und auch ihr Unbehagen.
»Er ist nicht dort unten«, sagte Ali zornig. »Und er war es auch nie. Dieser verdammte Schmuggler hat uns belogen!«
»Vielleicht wurde er ja selbst falsch informiert«, hörte sich Andrej zu seinem eigenen Erstaunen sagen. Wieso fühlte ausgerechnet
er
sich bemüßigt, den feisten Schmuggler zu verteidigen?
Doch er wusste die Antwort sehr wohl. Weil ihm alles gefiel, was Ali ärgerte. Er konnte den Kerl nicht leiden. Das war vom ersten Moment an so gewesen, und es wurde nicht besser. Er war einfach davon überzeugt, gut beraten zu sein, erst einmal einen Blick aus dem Fenster zu werfen, wenn Ali ihm einen guten Morgen wünschte.
Ali gab sich auch redliche Mühe, seine Vorurteile zu untermauern, denn er fuhr auf dem Absatz herum und funkelte ihn so zornig an, als hätte er in ihm gerade den Schuldigen für ihren Misserfolg ausgemacht.
»Der Kerl ist ein Verbrecher!«, knurrte er. »Abschaum! Es sollte mich nicht wundern, wenn er mit unseren Feinden gemeinsame Sache macht!«
»In diesem Zusammenhang«, sagte Andrej ruhig, »wäre es vielleicht ganz praktisch zu wissen, wer eure Feinde überhaupt sind.«
»Das geht dich nichts an«, beschied ihm Ali. »Ginge es nach mir, dann …«
»… wäre ich schon tot?«
Ali biss sich auf die Unterlippe, und Andrej konnte trotz des schlechten Lichtes sehen, wie eine Ader an seinem Hals zu pochen begann. Auch er spannte sich, wenn auch so, dass es Ali verborgen bleiben musste. Nichts wäre ihm lieber gewesen, als dass der Assassinen-Hauptmann die Beherrschung verlor und ihm endlich einen Vorwand lieferte.
Aber er beherrschte sich, gerade eben noch und zu Andrejs leiser Enttäuschung. »Du wärst zumindest nicht hier«, sagte er. »Das alles hier geht euch nichts an.«
»Hasan scheint da anderer Meinung zu sein«, sagte Andrej lächelnd.
»Und nur deshalb bist du auch noch am Leben«, erwiderte Ali. »Es steht mir nicht zu, die Entscheidung seiner Heiligkeit zu hinterfragen. Solange er lebt und mir keinen anderen Befehl erteilt, sind wir Verbündete. Aber du solltest dich nicht zu sicher fühlen. Irgendwann endet unsere Abmachung.«
»Ich werde vorbereitet sein«, versprach Andrej.
Ali verzog nur erneut geringschätzig die Lippen, doch als Andrej den verständnislosen Blick eines der Assassinen sah, mit dem er sie beide musterte, kam er sich albern vor. Was ihn aber nicht daran hinderte, zu einer Erwiderung anzusetzen.
Doch er kam nicht dazu, denn plötzlich hörte er einen Schrei. Vielleicht spürte er auch nur ein plötzliches Auflodern von Angst, irgendwo in den Tiefen des Gebäudes über ihren Köpfen, doch das Empfinden war so intensiv, dass er mit einem Ruck den Kopf in den Nacken warf und sichtbar zusammenfuhr, und auch Ali vergaß sein kindisches Gehabe auf der Stelle und ließ die Hand auf den Schwertgriff fallen.
»Was?«, fragte er knapp.
»Dort oben.« Andrej deutete knapp mit dem Kopf auf die Treppe, die sich schon nach wenigen Stufen in völliger Dunkelheit
Weitere Kostenlose Bücher