Nekropole (German Edition)
verlor.
»Was ist dort?« Ali lauschte ebenfalls, konnte aber offenbar nichts hören. Auch Andrej war sich mittlerweile sicher, dass es dort oben auch nichts zu hören gab, schon weil die dicken Wände der Turmfestung jeden Laut verschluckten. Aber die Angst explodierte regelrecht, und da war noch etwas, etwas, das er kannte, ohne sagen zu können, woher.
»Andrej, verdammt!«, fauchte Ali. »Was
ist
da oben?«
»Der Grund, aus dem dein Herr darauf bestanden hat, dass einer wie ich euch begleitet.« Die Bemerkung tat ihm schon leid, bevor er sie ausgesprochen hatte, aber sie tat gut. Er zog den
Saif
aus dem Gürtel und stürmte los, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, sodass Ali und seine Männer augenblicklich hinter ihm zurückfielen.
In der tiefen Dunkelheit konnte er nichts sehen, doch das harte Echo seiner Stiefelsohlen verriet ihm genug über seine Umgebung, um sein Tempo sogar noch einmal zu steigern. Dennoch geriet er auf dem Weg nach oben zweimal ins Stolpern, und ein drittes Mal wäre er fast gestürzt, hätte er nicht im letzten Moment den Arm ausgestreckt und sich an der Wand neben sich abgestützt. Unter ihm blieben die Geräusche eines Sturzes oder gar ein Fluch oder Schmerzensschrei (am besten von Ali), auf die er wartete, aus.
Die Veränderungen im Echo warnten ihn, dass er das obere Ende der Treppe erreicht hatte. Seine tastenden Finger glitten über Holz und rostiges Metall. Mit angehaltenem Atem blieb er lauschend stehen, hörte nichts und wich dann vorsichtig einen halben Schritt zurück.
Bei völliger Dunkelheit war es schwer, genau zu zielen, sodass es wohl eher Zufall war, dass sein Absatz das Schloss genau traf, das aber mit so verheerender Wucht, dass die Tür regelrecht nach außen explodierte und mit dem Getöse eines Kanonenschlages gegen die Wand prallte und in Stücke brach. Andrej war hindurch und in halb geduckter, kampfbereiter Haltung, noch bevor die ersten Holzsplitter zu Boden fielen. Dennoch wäre er um ein Haar nicht schnell genug gewesen.
Im ersten Moment glaubte er, zwei Dutzend Gegnern in blau-gelben Uniformen und mit hohen Bronzehelmen und gefährlichen Hellebarden gegenüberzustehen, die sich wie ein Mann auf ihn warfen. In Wahrheit waren es nicht einmal annähernd so viele, und ihr Angriff war nicht wirklich koordiniert – was der einzige Grund war, aus dem er ihn überlebte – doch ihre schiere Anzahl überraschte ihn. Die Männer mussten gewusst haben, dass er kam, oder sie waren wirklich gut.
Wahrscheinlich beides. Andrej sah sich von gleich drei Hellebarden attackiert, die nach seiner Brust und seinem Hals stocherten, und in das noch immer anhaltende Krachen der zerberstenden Tür mischten sich ein Chor erschrockener Rufe und das Trappeln harter Stiefelsohlen auf Stein. Er spürte inmitten des Chaos etwas Bekanntes, doch ihm blieb keine Zeit für einen zweiten Blick.
Der Hellebarde, die nach seinem Hals stieß, wich er mit einer raschen Drehung aus, einen zweiten tödlichen Metalldorn schlug er mit der bloßen Hand beiseite, aber die dritte Klinge, länger als ein Dolch und mindestens doppelt so scharf, bohrte sich so mühelos durch seine Schulter und in die Wand hinter ihm, dass er zuerst nicht einmal Schmerz fühlte.
In der Sekunde darauf dafür umso mehr.
Alle Kraft wich aus seinem Arm, so vollkommen und schnell, dass er nicht einmal spürte, wie ihm der
Saif
entglitt und zu Boden fiel. Er wäre gestürzt, hätte ihn die Hellebarde nicht erbarmungslos weiter gegen die Wand gedrückt, und der Schmerz, der in seiner Schulter explodierte und glühende Krallen in alle Teile seines Körpers schickte, war so schlimm, dass ihm übel wurde und alles vor seinen Augen verschwamm. Blindlings trat er um sich, spürte, wie er etwas traf, und wurde seinerseits getroffen, wenn auch von etwas Stumpfem. Dennoch war der Schmerz so schlimm, dass er beinahe das Bewusstsein verloren hätte, wären nicht in diesem Moment Ali und seine Krieger durch die Tür gestürmt und hätten sich in den Kampf geworfen.
Es war eine regelrechte Schlacht, auch wenn Andrej von den ersten Momenten kaum etwas mitbekam. Die Hellebarde verschwand aus seiner Schulter, hinterließ dabei eine Spur aus grausamer Pein und tränkte sein Hemd mit seinem eigenen Blut. Kraftlos sank er auf die Knie und konnte seinen Sturz zwar noch mit dem unversehrten Arm abfangen, bezahlte dafür aber mit einem stechenden Schmerz und einer Woge so gewaltiger Übelkeit, dass ihm abermals schwarz vor Augen wurde und
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