Nekropole (German Edition)
er nur noch das Rauschen seines eigenen Blutes und das rasende Hämmern seines Herzens hörte. Die klebrige Schwäche, die ihn erfasst hatte, wurde stärker, verschlang seine Gedanken und sein Bewusstsein, sodass etwas anderes, etwas Düsteres und unvorstellbar Machtvolles heranwachsen konnte. Eine dunkle Kraft erwachte in ihm, der er sich nicht entziehen konnte und wollte, und die nicht mehr weichen würde.
Dann hörte er den Schrei.
Diesmal hörte er ihn wirklich, und er erkannte die Stimme.
Sie gehörte Ayla, und sie schrie seinen Namen.
Schmerz und Schwäche waren nicht vergessen, aber plötzlich vollkommen bedeutungslos. Er sprang auf, registrierte eher beiläufig, dass sein rechter Arm so nutzlos und taub wie ein Stück Holz an seiner Seite herabhing, rammte dem erstbesten Mann die gesunde Schulter in den Leib und setzte über ihn hinweg, als er fiel. Eine Klinge schrammte an seinem Gesicht entlang und hinterließ einen schmerzhaften, blutenden Schnitt. Rasender Zorn loderte wie eine Stichflamme auf und fegte jeden Gedanken einfach hinweg. Ihm war wehgetan worden, und er wollte einem anderen wehtun, und es war ihm vollkommen gleich, wem.
Mit der bloßen Hand packte er die Hellebarde an der Klinge und entriss sie ihrem Besitzer, ohne darauf zu achten, dass der Stahl tief in sein Fleisch biss, schleuderte die Waffe ziellos in das Durcheinander ringender Körper und brachte den Mann mit einem harten Kopfstoß zu Fall. Etwas traf ihn im Rücken, und er spürte einen gleißenden Schmerz in der Wade. Das Leben lief aus ihm heraus, seine Kräfte verebbten, doch Aylas Schrei, der längst verklungen war, gellte weiter in seinen Ohren und trieb ihn voran.
Blindlings stürzte er in den verbissenen Kampf, der den Korridor von einem Ende zum anderen auszufüllen schien. Irgendwo in diesen mahlenden Chaos war Ali, dessen wirbelnde Klinge blutige Ernte hielt, ebenso wie die Waffen seiner Assassinen, die wie die Berserker unter ihren Gegnern wüteten, in dem begrenzten Raum ihre Überlegenheit aber nicht annähernd so verheerend ausspielen konnten, wie sie es gewohnt waren. Einer von ihnen sank gerade in diesem Moment auf die Knie, von einer Hellebarde mit solcher Wucht in den Rücken getroffen, dass die Spitze in einem zähen Sprühregen aus hellem Rot aus seiner Brust wieder austrat, ein Zweiter hatte das Schwert in die linke Hand gewechselt, weil seine Rechte zerschmettert und der meisten Finger beraubt war.
Blutend und mit jedem Schritt schwächer werdend, aber von einer unbezwingbaren Kraft weitergetrieben, taumelte er an Ali vorbei und direkt ins Herz des wütenden Getümmels hinein, wurde abermals getroffen und noch einmal und noch einmal und schlug und trat und tötete möglicherweise auch selbst, war aber nicht sicher und achtete auch nicht darauf. Und es spielte auch keine Rolle. Er wusste, aus welcher Richtung Aylas Schrei gekommen war, und das Echo ihrer Furcht hing noch immer wie ein glühender Dolch in der Luft, der sich tief in seine Seele grub.
Plötzlich sah er Hasan. Zwei Soldaten hatten ihn an den Armen ergriffen und versuchten, ihn wegzuzerren, wogegen er sich mit schwächlichen Bewegungen zu wehren versuchte. Ein Mann seines Alters und von seinem eher schmächtigem Wuchs hätte den beiden kräftigen Soldaten keine Schwierigkeiten bereiten dürfen, aber er tat es, und Andrej hatte das sichere Gefühl, dass sie es kaum wagten, ihn anzufassen, geschweige denn ihre überlegenen Kräfte einzusetzen. Trotzdem hatten sie das Ende des Ganges fast erreicht, und ein weiterer Mann öffnete gerade in diesem Augenblick eine schwere Tür, die so massiv aussah, dass sie selbst für ihn ein ernstzunehmendes Hindernis darstellen könnte.
Er versuchte, seine Schritte noch einmal zu beschleunigen, schaffte es zu seinem Entsetzen nicht und stolperte stattdessen über einen sich stöhnend am Boden krümmenden Mann. Zwar fiel er nicht, brauchte aber fast seine ganze Kraft, um sich auf den Beinen zu halten.
Die Tür flog auf, und einer der beiden Soldaten zerrte den widerstrebenden Hasan mit sichtlichem Befremden hindurch, der andere fuhr zu Andrej herum, wehrte dessen schwerfälligen Fausthieb mit dem hochgerissenen Unterarm ab und stieß ihm einen Dolch in die Brust.
Andrej spürte, wie die Klinge an seinen Rippen abglitt und sein Fleisch durchtrennte, ohne aber ein lebenswichtiges Organ zu treffen.
Dennoch war dieser finale Angriff zu viel. Seine Beine gaben unter ihm nach, und auch noch das allerletzte bisschen
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