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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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sie es mir gesagt. Hm.Vielleicht irrte ich mich. Vielleicht war es ihm bloß peinlich, dass er von einem Mädchen vermöbelt worden war. Vielleicht musste er nur dringend aufs Klo.
    Ich ging zum Empfang, wo Karl-Heinz seine Füße in einen Eimer Wasser tauchte und an einem dampfenden Tee nippte. Außer ihm waren alle auf der Straße. Ich setzte mich an einen der Computer und starrte mit einem mulmigen Gefühl auf den Bildschirm. Meine Finger lagen auf der Tastatur, aber ich bewegte sie nicht. All die Jahre hatte ich den Drang bekämpft, Nele nachzuspionieren. Manchmal hatte ich ihren Namen gegoogelt, aber ich hatte nie eine Personenüberprüfung durchgeführt. Bis heute. Neun Jahre Selbstbeherrschung gingen mal eben den Bach runter. Aber ich musste wissen, was in Köln passiert war.
    »Was war gestern eigentlich los?«, fragte Karl-Heinz. »Telly musste ganz schön einstecken, was?« Er schüttelte grinsend den Kopf. »Von einem Mädchen verprügelt zu werden … tsss …«
    Er hatte Nele nicht in Aktion erlebt, so viel stand fest. Ich gab ihren Namen in die Suchmaske ein. Der PC stürzte sofort ab. Früher hatte die Mafia ihren Opfern einen Pferdekopf ins Bett gelegt, heute reichte ein PC mit Windows, und man wusste, dass die Kacke am Dampfen war. Aber die Leute kauften den Mist immer wieder, und die Stadtverwaltung war da keine Ausnahme.
    Ich ging zum nächsten Rechner, und während die Kiste klackernd und keuchend ihre Innereien nach Neles Namen durchforstete, witzelte Karl-Heinz über Tellys Nehmerqualitäten. Ich bekam ein paar Treffer unter ihrem Namen, aber es waren nur Strafzettel wegen Falschparkens und Geschwindigkeitsüberschreitung, alles aus den letzten sechs Monaten. Was mich interessierte, war die Anzeige wegen Körperverletzung. Vor fünf Monaten hatte ein Herr Laue die Dienste der Begleitagentur Cologne Service for Men in Anspruch genommen und statt eines schönen Abendseinen Nasenbeinbruch erhalten. Er hatte Anzeige gegen die Agentur und gegen Nele erstattet, aber die Anzeige gegen Nele später wieder zurückgezogen. Ich notierte mir seinen Namen und jagte eine Personenüberprüfung durch. Herr Laue hatte keine Vorstrafen. Ein harmloser Geschäftsmann, der manchmal eine Begleitung brauchte, jaja.
    Ich googelte die Agentur. Die Homepage sah seriös aus, aber bei der Kombination reiche Männer und schöne Frauen war immer Sex im Spiel. Ich versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken. Was die Vergangenheit anging, war mir Nele keine Rechenschaft schuldig. Nur für die Zukunft musste ich Bescheid wissen.
    Ich jagte weitere Personenüberprüfungen durch den Rechner. Unter den Gesellschaftern der Agentur erhielt ich ein paar Treffer, allerdings nichts, mit dem sich etwas anfangen ließ. Während ich über meine nächsten Schritte nachdachte, wollte Karl-Heinz wissen, ob es stimmte, dass Nele Telly mit einem Totschläger angegriffen hatte. Flurfunk. Bald würde sie auf ihn geschossen haben.
    Aus einem Impuls heraus gab ich den Namen von Neles Mutter ein. Der PC spuckte ein Aktenzeichen aus, aber zu dem Aktenzeichen fand ich keine Akte. Ich schaute zu Karl-Heinz rüber, der gerade die Füße aus seinem Wasserbad zog. Nach dreißig Jahren als Vertrauensbeamter im Außendienst sahen sie aus wie verkalkte Skulpturen.
    »Akten von vor über zwanzig Jahren, wo finde ich die?«
    Er runzelte die Stirn.
    »Über zwanzig …? Da musst du in den Keller. Wonach suchst du denn?«
    Ich ignorierte die Frage.
    »Haben wir Akten nicht im Computer?«
    »Wer sollte die eingegeben haben?«
    Super.
    »Sind die Aktenzeichen im Keller wenigstens chronologisch geordnet?«
    Er lachte gutmütig.
    »Du bist so witzig heute.«
    Ich notierte das Aktenzeichen, löschte den Eintrag im PC und stand auf.
    »Wenn ich in zwei Wochen nicht wieder da bin, schick einen Suchtrupp los, ja?«
    »Mach ich«, lachte er.
    Ich ging die Betontreppe hinunter in den Keller. Als ich den Lichtschalter betätigte, flackerte kaltes Neonlicht auf. Metallregale, von oben bis unten vollgestopft mit Akten, und ausrangierte Büromöbel, auf denen sich der Staub zentimeterdick gesammelt hatte, erstrahlten im grellen Licht. Die Spinnweben protokollierten, wie oft man hier unten Akteneinsicht nahm. Tausende schwerer Pappordner, die nur darauf warteten zu vermodern. Auch eine Form von Verjährung.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bevor ich die Akte fand. Jedes Jahr starben fast sechstausend Menschen in Deutschland bei Haushaltsunfällen, mehr als im Straßenverkehr.

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