Nele Paul - Roman
und beschloss, auch ihn im Auge zu behalten. Außer ihrer schlechten Form war Nele nichts anzumerken. Sie lief schnaufend neben mir her. Seit heute früh hatten wir die Sache mit keinem Wort mehr erwähnt, doch zwischen uns lag ein Einverständnis, das mich die Zukunft anlächeln ließ. Endlich konnte ein Tag wieder perfekt sein, nicht nur gut oder okay. Perfekt. Ein Gefühl, das ich mehr vermisst hatte als alles andere. Diesen Zustand, dass alles gut war, hatte ich nur bei ihr. Durch sie.
Ich lächelte zu ihr rüber. Sie lächelte zurück. Wir liefen schweigend weiter. Das Licht badete sie angemessen in Gold.
Nissen erwartete uns bereits auf seiner Veranda und zog seine Zitronenlimonaden-Nummer ab. Wir tranken ein Glas mundauswringende Vitamine und plauderten ein bisschen übers Wetter, bis er Nele über den Brillenrand fixierte.
»Wie fühlst du dich?«
Nele zog eine Grimasse.
»Heute früh hatte ich den Schädel meines Lebens, aber jetzt geht’s langsam wieder. Ich trinke nie wieder so ein Zeug!« Nissen lachte.
»Ja, der Punch hatte es in sich. Ich hab gehört, du hast Telly eine verpasst.«
»Hab ich auch gehört«, sagte sie zerknirscht. »Hab’s nicht so richtig mitbekommen.«
»Hat er dich belästigt?«
»Keine Ahnung. Ich hab einen Filmriss.«
»Völlig?«
»Komplett«, sagte sie.
»Auweia«, sagte er und: »Früher hast du Alkohol eigentlich ganz gut vertragen.«
»Die Zeiten ändern sich«, sagte sie.
»Das stimmt allerdings«, lachte er. »Wann hast du dich das letzte Mal durchchecken lassen?«
Sie zuckte die Achseln.
»Vor vier, fünf Jahren.«
»Na, dann kann’s ja nicht schaden. Schauen wir mal, wie fit du bist.«
»Springen Sie nicht aus dem Fenster, wenn Sie meine Leberwerte sehen …«
Er lachte wieder und stand auf. Als ich mit aufstand, sah er mich an.
»Es wäre schön, wenn du den Hund im Auge behalten könntest.«
Ich grinste.
»Versprochen.«
Einmal hatte Mor November hier draußen gelassen, undwährend Nissen sie in der Praxis behandelt hatte, hatte November den Garten komplett umgegraben.
Bevor die beiden ins Haus verschwanden, sah Nele mich an. Die Liebe in ihrem Blick ließ mein Herz schneller schlagen. Die Tür mit dem Fliegengitter fiel zu. Ich setzte mich und warf einen Blick runter zu November. Er lag unter einem Busch im Garten und schnappte nach einem Grashalm, der ihn ärgerte. Hoch oben am Himmel kreiste wieder der Mäusebussard. Ich trank mein Glas leer und dachte, dass es Schlimmeres gäbe. Guter Ausblick. Frische Luft. Keine natürlichen Feinde. Bloß in der Luft herumschweben und nach Häppchen Ausschau halten. Das Leben konnte so einfach sein. Ich behielt meinen Hund im Auge, der sich mit dem Grashalm abplagte. Statt sich woanders hinzulegen, blieb er lieber da, wo er war, und ließ sich von dem Halm nerven. Was das anging, war er allzu menschlich.
Ich schreckte auf, als die Verandatür sich knarrend öffnete. Nele und Nissen kamen aus dem Haus. Der Bussard war verschwunden, und die Sonne stand ein Stück tiefer. Ich musste ein paar Minuten geschlafen haben. Die Nächte forderten ihren Tribut.
Als ich aufstand, rutschte Nele in meine Arme. Ihre Haut fühlte sich kühl und glatt an.
»Tat gar nicht weh«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Oder hab ich das vergessen?«
»Die Filmrisswitze kannst du langsam wieder runterfahren«, sagte ich und gab ihr einen Kuss.
»Filmriss?«, murmelte sie an meinen Lippen und runzelte die Stirn. »Welcher Filmriss?«
Ich gab ihr noch einen Kuss. Nissen warf einen Blick in den Garten und überprüfte den Zustand. Im selben Moment schnappte November wieder nach dem Grashalm. Seine Zähne klackerten aufeinander, und er gab ein genervtes Geräusch von sich. Nele lachte. Ich lächelte automatisch mit. Gott, wie ich ihr Lachen liebte.
Ich sah Nissen fragend an.
»Auf den ersten Blick würde ich sagen, dieses Mädchen wird steinalt, kriegt fünf Kinder, und wenn du Glück hast, mit dir.«
Nele grinste mich an. Ihr Augen funkelten vergnügt.
»Hör gut zu.«
Ich ließ mich nicht ablenken.
»Also ist alles in Ordnung?«, hakte ich nach.
»Auf den ersten Blick. Warten wir den Laborbericht ab.« Er sah Nele an. »Und in der Zwischenzeit …«
»Kein Alkohol«, sagten wir beide gleichzeitig.
Wir verabschiedeten uns und trabten gemächlich den Weg zurück. November sprang um uns herum. Bei jedem Schritt gluckste in meinem Magen die Limonade, und neben mir keuchte Nele, obwohl wir noch keinen Kilometer gelaufen
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