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Nelken fuers Knopfloch

Nelken fuers Knopfloch

Titel: Nelken fuers Knopfloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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seinem Zimmer starrte der Junge auf die dunkel gebeizte, von tausend Händen abgegriffene Tür. Er setzte sich an sein Pult und verbarg das zerschlagene Gesicht in den Armen. Und plötzlich begannen seine Schultern zu zucken.

8

    Marcel Etienne fuhr gegen sechs Uhr abends durch das mit wildem Wein berankte Tor auf dem Hofplatz von Hartenstein vor. In der Anordnung der Gebäude erkannte man noch deutlich, daß Hartenstein ursprünglich ein Gutsbetrieb gewesen war. Auf dem Grundstück lagen sogar noch Brauereirechte und eine Schankkonzession, und mehr zur Erheiterung seiner Herren als zur eventuellen Ausnutzung dieser Realrechte in ferner Zukunft verkaufte Dr. Herterich ihnen alljährlich am Johannistag einen Magenbitter zum Preise von fünf Pfennig, deren Empfang er sich unterschriftlich bestätigen ließ.
    Etienne ging zum Sekretariat, stellte sich Fräulein Primula vor, wurde von ihr zu Herrn Dr. Herterich geführt, rauchte mit ihm eine Zigarette und erfuhr, daß Manfred leider einen kleinen Sportunfall gehabt und sich das Gesicht ein wenig verletzt habe. Er bekam selbstverständlich die Erlaubnis, die Jungen auf ihren Zimmern zu besuchen und bis zehn Uhr abends auszuführen.
    Thomas stürzte ihm auf dem Korridor des Internatsgebäudes entgegen, er hatte sich mit seinen ersten langen Hosen und einem blütenweißen Hemd piekfein gemacht und den Scheitel mit Wasser an den Schädel geklebt.
    »Prima, Onkel Marcel, daß du uns abholst! Vor der stinklangweiligen Bahnfahrt und vor der ewigen Umsteigerei hat es uns schon richtig gegraust. Was fährst du diesmal für ‘ne schnelle Kiste?«
    Es war ein Fiat-Cabrio, nach Toms Meinung nicht besonders toll und natürlich keineswegs an Pfortens Thunderbird heranreichend, aber immerhin, 150 holte man aus dem 1,8-Liter-Motor bei Rückenwind und Gefälle auch heraus... Seine Sprüche konnten einem auf die Nerven gehen. Er brachte Marcel Etienne munter schwatzend ins erste Stockwerk hinauf, wo Manfred in seinem Zimmer allein war. Sein Stubenkamerad, Peter Schwengler, der Sohn eines rheinischen Industriellen, hatte das Internat bereits vor zwei Tagen verlassen dürfen, um an der Silberhochzeit seiner Eltern teilzunehmen.
    Etienne drückte Manfred für einen Augenblick an seine Brust, vom einfallenden Licht geblendet, sah er Manfreds Gesicht nur undeutlich. Erst, als er den Jungen auf Armeslänge von sich schob und näher betrachtete, entdeckte er die Schwellung und die Rißwunde, die beim Waschen wieder aufgebrochen war und das neue Hemd besudelt hatte. »Ja, Menschenskind, Fredi, wie siehst du denn aus?!« fragte er erschrocken.
    »Ein blöder Unfall«, murmelte Manfred, »ist mir beim Hürdenlauf passiert. Gerissen, gestolpert, gestürzt und mit der Schnauze gebremst...«
    Etienne sah ihn genauer an. »Mach doch einem alten Fachmann nichts vor, mein Junge!« sagte er und kniff ein Auge zu, gleichzeitig griff er nach Manfreds rechter Hand, deren Knöchel verschwollen waren. »Das war keine Hürde, sondern eine Rauferei!«
    »Bestimmt nicht, Onkel Marcel!« versicherte Thomas eifrig. »Ich hab’s doch selber gesehen, wie Manfred auf die Birne gefallen ist. An der dritten Hürde!«
    »Für dein Alter lügst du nicht schlecht, Tom«, Etienne grinste, »die dritte Hürde — das ist so genau gelogen, daß es fast wahr klingt. Ich verstehe nur nicht, warum ihr mich anschwindelt. Kinderchen, in eurem Alter habe ich mich mit den Romanshorner Bauernbuben gerauft, daß die Fetzen geflogen sind. Und diese Raufereien gehören zu meinen schönsten Erinnerungen...«
    »Na schön«, gab Manfred zu, »wenn du es durchaus wissen willst, Onkel Marcel, es war eine Rauferei.«
    »Und was für eine!« sagte Thomas begeistert. »Manfred hat dem Grafenstetter ein paar Dinger verpaßt, da war alles dran! Da wackelten die dicksten Backenzähne!«
    »Ach, halt doch den Rand, Kleiner!« murmelte Manfred.
    »Und warum habt ihr euch geschlagen?« fragte Etienne.
    »Das erzähl ich dir einmal bei Gelegenheit, Onkel Marcel...«
    Etienne nickte ihm zu. Er fand es zwar ein wenig merkwürdig, die Geschichte von dem Hürdensturz zuerst von der netten Sekretärin und später auch noch vom Direktor aufgetischt bekommen zu haben. Lieber Gott, war man hier so tüterig, daß man solche Lappalien zu vertuschen suchte? Was war schon dabei, wenn zwei Jungen sich einmal in die Wolle gerieten? Vor Michael und Heliane hätte er die Sache zum Anlaß genommen, sich wieder einmal über die Landschulheim-Erziehung gründlich zu

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