Nelken fuers Knopfloch
in aller Ruhe mit deiner Mutter zu sprechen. Heliane Pforten ist nämlich deine Mutter, auch wenn sie dich nicht geboren hat. Es mag roh klingen, und ich will deine tote Mutter damit nicht verletzen, ich kann es nur nicht anders ausdrücken: Du hättest keine bessere Mutter als Heliane Pforten finden können.«
»Ach, Onkel Marcel, ich weiß doch genau, wie du es meinst. Und ich sehe doch, in welchem Verhältnis zu ihren Eltern fast die meisten Hartensteiner Jungen stehen. Und ich sehe und höre doch auch genug davon, wie ihre Eltern zueinander stehen. Daß man sich fragt, wozu sie überhaupt geheiratet haben und warum sie nicht auseinander gehen, wenn schon jeder sowieso nichts mehr von den anderen wissen will. — Und wenn ich dann an Sachrang und an mein Zuhause dachte, dann sagte ich mir: Mensch, was kannst du froh sein, solch einen prima Vater und solch eine wunderbare Mutter zu haben!«
Etienne hatte Mühe, eine Rührung zurückzudrängen, die ihm die Kehle eng machte. Er legte seine Hand auf die verschwollenen Knöchel des Jungen: »Na also, Manfred! Und was hat sich nun daran geändert?«
Der Junge starrte auf den weißgescheuerten Lindenholztisch und kerbte mit dem Daumennagel die Maserung des Holzes nach.
»Was ich empfinde, kann ich nicht ausdrücken, Onkel Marcel«, sagte er langsam, und in seine Stirn kerbte sich über den Brauen eine steile Falte in die glatte Haut, »aber irgend etwas hat sich in mir verändert. Ich kann es dir wirklich nicht sagen, was es ist. Aber ich habe irgendein Schuldgefühl. Mir ist, als hätte ich Dinge in Anspruch genommen, die mir nicht zustehen... Ich komme mir wie jemand vor, der für das, was er genossen hat, die Rechnung schuldig geblieben ist. Nein, du kannst das nicht verstehen... Ich verstehe es selber noch nicht ganz...«
»Laß dir Zeit, mein lieber Junge!«
Drüben am Automaten klingelte es anhaltend. Der Apparat spuckte die Zehnerl unter blitzenden Lichteffekten förmlich aus. Sie spritzten über den Rand des Metalltellers und fielen zu Boden, so daß Thomas sie zusammensuchen mußte.
»Noch eine Bitte, Onkel Marcel«, sagte Manfred hastig, »sag daheim vorläufig noch nichts davon, daß ich das Geheimnis erfahren habe. Ich muß darüber noch nachdenken.«
»Ich richte mich ganz nach deinen Wünschen, Fredi«, versprach Etienne. Ihm war nicht sehr wohl dabei, denn seine schauspielerischen Fähigkeiten waren miserabel, und er fürchtete Helianes Hellsichtigkeit. Sie hatte ein unheimliches Ahnungsvermögen und las ihm manchmal bereits Gedanken von der Stirn ab, noch ehe er sie ausgesprochen hatte.
Thomas stürzte mit rotem Kopf heran, beide Hände reichten kaum aus, um seinen Gewinn zu halten.
»Wißt ihr, was ich aus dem Apparat herausgekitzelt habe? Ihr ratet es im ganzen Leben nicht! Sechs Mark achtzig! Vier Mark habe ich mir schon zusammengespart. Und jetzt kaufe ich mir den Motor für die Boeing, auf den ich schon seit Weihnachten scharf bin!«
»Junger Freund!« sagte Etienne, den das schlechte Gewissen plagte. »Wenn du daheim davon erzählen solltest, daß ich dich hier zum Spielen um Geld verführt habe, dann sind wir geschiedene Leute, verstanden?«
»Kein Wort davon, Onkel Marcel, auf Ehre!« schwor Tom und hob die Schwurfinger. »Ich bin doch nicht blöd!«
»Den Eindruck habe ich allerdings auch nicht«, knurrte Etienne, »im Gegenteil, du scheinst mir in den verflossenen zwei Jahren ein ganz durchtriebenes Bürschchen geworden zu sein.«
9
Mit einer schottisch karierten Badehose bekleidet und mit weichen italienischen Schlupfsandalen an den Füßen, denn er hatte eine unglückliche Neigung, auf Bienen zu treten, die sich an dem blühenden Klee delektierten, marschierte Michael Pforten auf dem Rasen vor dem Swimming-pool zwischen zwei Liegestühlen auf und nieder, auf deren jedem ein aufgeschlagenes Rollenbuch lag. Das war seine liebste Art, Texte zu memorieren. Der Hund Poldi trottete in einem Schritt Abstand getreulich hinterdrein, den Blick zu seinem Herrn erhoben und den Schäferhundlauscher gespitzt, als bemühe er sich, die gleiche Lektion zu lernen.
Es war übrigens nicht der Sprechtext des Films, von dem die Hälfte der Einstellungen bereits abgedreht war, sondern jene Rolle, in der Pforten als Gast in Frankfurt die Theatersaison bei Raimondi eröffnen sollte. Das Stück war großartig, ihm wie auf den Leib geschrieben. Eine englische Gesellschaftskomödie im Stil von Oscar Wilde, voller Witz und mit geistreichen Bonmots
Weitere Kostenlose Bücher