Nelson, das Weihnachtskaetzchen
Entscheidung zu treffen.
Morgen wollte er über Anna nachdenken.
Oder übermorgen.
26
Anna hatte sich in der Küche verkrochen. Das Backen war eine gute Methode, um sich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen. Sie hatte das Radio eingeschaltet und den Adventskranz in die Küche getragen und angezündet. Festliche Musik erklang, und der harzige Geruch von Tannennadeln hing in der Luft. Eine schöne Atmosphäre war das. Richtig gemütlich. Es erinnerte Anna an die Weihnachten der Vergangenheit, als sie noch eine glückliche Familie gewesen waren und alle die festliche Zeit genossen hatten.
Als Erstes bereitete sie den Teig für die Nussecken vor. Ihre Bewegungen waren mechanisch. Das alles machte ihr keine rechte Freude, trotz der Musik und der brennenden Kerzen. Immer wieder drifteten ihre Gedanken zu ihrem Vater. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen mit der Versöhnung. Denn offenbar kamen sie einfach nicht miteinander aus. Anna verstand nicht, wie er sie so kühl hatte fortschicken können, als sie vor seiner Wohnungstür gestanden hatte. War ihm die Versöhnung nun doch nicht mehr so wichtig? Hatte er es sich anders überlegt? War das nur so eine spontane Idee von ihm gewesen? Oder hatte sie ihn einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt?
Doch ganz egal, was seine Gründe sein mochten – sie spürte, dass er sie immer noch verletzen konnte, auch drei Jahre danach. Es fühlte sich an, als finge alles von vorne an. Wie damals, nach dem Tod ihrer Mutter.
Anna wollte nicht mehr mit ihrem Vater streiten. Lieber wollte sie ganz auf den Kontakt mit ihm verzichten. Sie fühlte sich dem Ganzen nicht gewachsen.
Nachdem sie die Nussecken in den Ofen geschoben hatte, hielt sie inne. Am liebsten würde sie ausreißen. Einfach verschwinden und alles hinter sich lassen. Dieses Weihnachten drohte zu einer Katastrophe zu werden. Keiner im Haus hatte Lust auf dieses Fest, das spürte sie genau. Nicht einmal Klaus schaffte es noch, ihr so etwas wie Vorfreude vorzugaukeln. Er hoffte wohl nur, dass alles möglichst rasch und ohne größeren Streit vorüber wäre.
Das größte Problem war Laura. Am Mittagstisch hatte Anna wieder einmal einen Versuch gestartet, mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch Laura gab sich ihr gegenüber nach wie vor einsilbig. Anna war während des Essens eingefallen, dass die Weihnachtsaufführung der Theaterwerkstatt bald stattfinden würde. Sie versuchte auf diese Weise die Aufmerksamkeit ihrer Tochter zu gewinnen.
»Ich weiß immer noch nicht, was ihr für ein Stück spielt«, sagte Anna. »Ich bin ganz gespannt darauf.«
Doch Laura tat, als hätte sie ihre Mutter nicht gehört.
»Laura! Ich habe gefragt, welches Stück ihr aufführen werdet.«
»Was ihr wollt«, brummelte sie, ohne von ihrem Teller aufzusehen. »Shakespeare.«
»Das ist ja toll. Und welche Rolle hast du darin bekommen?«
Doch Laura legte daraufhin Messer und Gabel zur Seite, schob den halb leeren Teller von sich und sagte: »Ich hab keinen Hunger mehr. Darf ich jetzt aufstehen?«
»Ja, natürlich.« Enttäuscht hatte Anna beobachtet, wie Laura nach oben in ihr Zimmer verschwand. Beim Abräumen des Mittagessens war sie schließlich auf die Idee gekommen, sich an die Weihnachtsbäckerei zu machen.
Während die Nussecken im Ofen waren, fasste Anna einen Entschluss: Die restlichen Weihnachtsplätzchen würde sie sich einfach sparen. Ein Teil der Weihnachtsbäckerei würde in diesem Jahr eben ausfallen. Sie würde stattdessen in den Supermarkt gehen und Dominosteine und Lebkuchen kaufen. Warum auch nicht? Die Kinder hatten ohnehin keine Lust auf Weihnachten. Und Anna hatte zunehmend den Verdacht, den ganzen Aufwand hauptsächlich für sich selbst zu betreiben. Für ihr schlechtes Gewissen. Und weil sie nicht akzeptieren konnte, dass die Kinder älter wurden und ihr eigenes Leben zu führen begannen.
Als die Küche sauber war und die Nussecken zum Abkühlen auf dem Tisch standen, trat Anna an die Treppe, die in den ersten Stock führte.
»Ich bin kurz einkaufen!«, rief sie ins Obergeschoss. »Soll ich dir etwas mitbringen, Laura?«
Doch von ihrer Tochter kam kein Lebenszeichen.
»Laura! Ob ich dir was mitbringen soll!«
»Nein«, kam es zurück. Und das war’s.
Anna nahm ihren Mantel und verließ das Haus. Es tat gut, im Auto zu sitzen. Sie ließ sich durch den Stadtverkehr treiben. Fuhr immer weiter, ohne nachzudenken. Sie hatte es nicht eilig, wieder nach Hause zu kommen.
Schließlich beschloss sie, die
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